Grünes Gift
halten Sie davon?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Sheila. »Es ist nicht ungefährlich, sich einem Fremden auszuliefern, von dem wir kaum etwas wissen. Andererseits hat er uns natürlich sehr interessante Informationen geliefert.«
»Und wir haben nicht besonders viele Möglichkeiten«, ergänzte Jonathan.
»Zeig mir mal die Nachricht«, bat Pitt. Er stellte sich hinter ihn und las den Text auf dem Bildschirm. Als er fertig war, sah er Sheila an.
»Ich glaube, wir sollten es wagen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er auf der Gegenseite steht. Wahrscheinlich hat er genausoviel Angst vor uns wie wir vor ihm.«
»Jedenfalls ist es bestimmt besser, Dr. M zu treffen als planlos in der Gegend herumzuirren«, stellte Jonathan fest. »Außerdem hat er Zugang zum Internet. Das heißt, wir können meiner Mutter und den anderen Nachrichten hinterlassen. Falls sie hierher zurückkommen, wissen sie dann wenigstens, wie sie uns erreichen können.«
»Okay«, gab Sheila sich geschlagen. »Schließen wir einen Kompromiß: Wir treffen uns mit diesem Dr. M, aber dafür beeilen wir uns jetzt, um von hier zu verschwinden. Auf geht’s!«
»Ich weiß, wie schwer es dir fällt, Cassy«, sagte Beau. »Ich schaue schon lange nicht mehr in den Spiegel. Du mußt darüber hinwegsehen.«
Cassy lehnte an der Balustrade und ließ ihren Blick über die herrlichen Grünanlagen des Instituts schweifen. Die Sonne stand schon relativ hoch am Himmel, der Morgentau war fast verdunstet. Eine endlose Schlange von Infizierten bewegte sich auf das Gebäude zu. Sie kamen aus allen Teilen der Welt.
»Wir sind dabei, Erstaunliches für die Umwelt zu vollbringen«, erklärte Beau. »Und zwar auf der ganzen Welt. Was wir hier erleben, ist ein wirklicher Neubeginn.«
»Mir hat die alte Welt ziemlich gut gefallen«, entgegnete Cassy.
»Das kann doch nicht dein Ernst sein«, sagte Beau. »Bei all den drängenden Problemen. Die Menschen haben die Erde durch ihre Zerstörungswut an den Rand des Kollapses gebracht, vor allem in der letzten Hälfte des Jahrhunderts. Und das darf nicht so weitergehen, denn die Erde ist ein herrlicher Planet. Es gibt in unserer Galaxie unzählige andere Planeten, aber nur wenige sind so warm und feucht und so einladend wie dieser.« Cassy schloß die Augen. Sie war total erschöpft und brauchte dringend Schlaf. Ein paar Dinge, die Beau gesagt hatte, machten sogar ein bißchen Sinn. Sie mußte sich mit aller Kraft zum Denken zwingen.
»Wann ist das Virus zum ersten Mal auf der Erde gelandet?« fragte sie.
»Die allererste Invasion?« fragte Beau zurück. »Die war vor etwa drei Milliarden Erdjahren. Damals hatten die Bedingungen auf der Erde gerade einen Punkt erreicht, ab dem sich ziemlich schnell Leben entwickeln konnte. Eine Forschungssonde hat die Virionen in den Urseen freigesetzt, und von dort haben sie sich in die entstehende DNA eingefügt.«
»Und jetzt ist zum ersten Mal wieder eine Sonde zur Erde gekommen?« fragte Cassy.
»Nein, nein!« erwiderte Beau. »Etwa alle hundert Millionen Erdjahre wurde eine Sonde vorbeigeschickt. Sie hat das Virus reaktiviert und geprüft, was für eine Art Leben sich inzwischen entwickelt hatte.«
»Und das Bewußtsein des Virus ist nicht geblieben?« fragte Cassy.
»Das Virus selbst ist geblieben«, entgegnete Beau. »Aber du hast recht. Das Bewußtsein hat man verfallen lassen. Die Organismen waren dafür ungeeignet.«
»Und wann ist die Sonde zum letzten Mal gelandet?« fragte Cassy.
»Vor ungefähr hundert Millionen Erdjahren. Es war eine katastrophale Begegnung. Zu diesem Zeitpunkt wimmelte es auf der Erde von riesigen, reptilienartigen Tieren, die sich gegenseitig gejagt und aufgefressen haben.«
»Meinst du Dinosaurier?« hakte Cassy nach.
»Ja«, erwiderte Beau. »Ich glaube, so haben die Menschen sie genannt. Aber wie auch immer diese Tiere heißen - für das Bewußtsein, das sich entwickeln sollte, war die Situation damals - vollkommen ungeeignet. Deshalb wurde die Infizierung abgebrochen. Allerdings wurden ein paar genetische Veränderungen vorgenommen, die die Reptilien schließlich aussterben ließen, damit sich andere Arten entwickeln konnten.«
»Wie zum Beispiel die Menschen«, fügte Cassy hinzu.
»Genau«, entgegnete Beau. »Sie haben ausgesprochen vielseitige Körper und ein angemessen großes Gehirn. Der Nachteil ist, daß sie Gefühle haben.«
Cassy lachte kurz auf. Es klang lächerlich, daß eine außerirdische Kultur, die imstande war, durch
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