Grünes Gift
die Galaxie zu streifen, Probleme mit menschlichen Emotionen haben sollte.
»Es stimmt«, sagte Beau. »Die Übermacht der Gefühle führt dazu, daß dem Individuum eine viel zu große Bedeutung beigemessen wird, und das widerspricht dem kollektiven Ziel. Aus meiner Doppelperspektive finde ich es um so erstaunlicher, daß die Menschen es überhaupt so weit gebracht haben. Bei einer Spezies, in der jedes Individuum bemüht ist, seine Bedürfnisse über den Grundbedarf hinaus zu befriedigen und in Reichtum und Luxus zu leben, sind Kriege und Streitereien unvermeidbar. Der Frieden wird zum Ausnahmezustand.«
»Wie viele andere Arten in der Galaxie sind schon von dem Virus infiziert?« fragte Cassy.
»Tausende«, erwiderte Beau. »Wann immer wir ein geeignetes Umfeld finden, sind wir da.«
Cassy starrte weiter in die Ferne. Beaus Äußeres war so grauenerregend, daß sie nicht mehr klar denken konnte, wenn sie ihn ansah. Und denken mußte sie unbedingt. Aus irgendeinem Grund glaubte sie, daß sie eine größere Chance hatte, nicht infiziert zu werden und sie selbst zu bleiben, wenn sie soviel wie möglich in Erfahrung brachte. Einiges hatte sie schon herausbekommen. Je länger sie mit Beau redete, desto deutlicher kam seine außerirdische Seite zum Vorschein.
»Wo kommst du her?« fragte sie ihn plötzlich.
»Meinst du, wo sich mein Heimatplanet befindet?« Beau wußte nicht, ob er die Frage richtig verstanden hatte. Er zögerte und versuchte, aus den kollektiven Informationen zu schöpfen, die ihm zur Verfügung standen. Doch er fand keine Antwort. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht einmal, wie unsere ursprüngliche Körperform ausgesehen hat. Seltsam! Die Frage hat noch nie jemand gestellt.«
»Ist dem Virus nie in den Sinn gekommen, daß es vielleicht falsch sein könnte, einen Organismus zu infizieren, der bereits über ein Bewußtsein verfügt?« fragte Cassy.
»Nein«, erwiderte Beau. »Wir haben ja etwas viel Besseres zu bieten.«
»Wieso bist du dir da so sicher?« wollte Cassy wissen.
»Ganz einfach«, erwiderte Beau. »Denken wir nur an die Geschichte der Menschheit. Du weißt doch, was die Menschen sich gegenseitig angetan und wie sie den Planeten in der kurzen Zeit ihrer Vorherrschaft zugrunde gerichtet haben.« Cassy nickte. Er hatte nicht ganz unrecht, das mußte sie zugeben.
»Komm mit«, forderte Beau sie auf, »ich möchte dir etwas zeigen.« Er steuerte auf die Schlafzimmertür zu und öffnete sie.
Cassy drehte sich zögernd um und versuchte, sich auf sein grausiges Erscheinungsbild einzustellen, doch sie war wieder genauso schockiert. Er hielt ihr die Tür auf und deutete nach unten. »Es ist im Erdgeschoß.«
Sie stiegen die Haupttreppe hinunter. Im Gegensatz zu der Ruhe in der oberen Etage herrschte unten reger Betrieb. Überall liefen emsige, grinsende Gestalten herum. Niemand beachtete Cassy und Beau. Er führte sie in den Ballsaal, wo mit Volldampf gearbeitet wurde. Cassy erschien es unbegreiflich, wie so viele Leute wortlos zusammenarbeiten konnten. Der Fußboden, die Wände und die Decke des riesigen Saals waren mit einem Wirrwarr von Drähten überzogen. In der Mitte des Raumes stand eine enorme High-Tech-Apparatur, die Cassy an ein Gebilde aus einer anderen Welt erinnerte. Im Inneren befand sich ein riesiger Stahlzylinder, der etwas Ähnlichkeit mit einem sehr großen Kernspintomographen hatte. In alle möglichen Richtungen ragten Stahlträger aus dem Gebilde. Seitlich neben dem Gebilde befand sich eine Steuerungszentrale mit Monitoren, Skalen und Schaltern. Beau sagte zunächst nichts. Er wollte Cassy die Szene in aller Ruhe bestaunen lassen.
»Es ist fast fertig«, erklärte er schließlich.
»Was soll das sein?« fragte Cassy.
»Wir bezeichnen es als Gateway«, erwiderte Beau. »Eine Verbindung zu anderen, von uns infizierten Welten.«
»Was verstehst du unter Verbindung?« fragte Cassy. »Soll es eine Art Verständigungsvorrichtung sein?«
»Nein«, erwiderte Beau. »Die Vorrichtung dient dem Transport, nicht der Verständigung.«
Cassy schluckte. Ihre Kehle war auf einmal ganz trocken. »Du behauptest also, daß andere Arten von anderen Planeten imstande sind, zu uns auf die Erde zu kommen? Arten, die du infiziert hast - ich meine, die das Virus infiziert hat.«
»Und andersrum können wir natürlich auch zu ihnen gelangen«, sagte Beau stolz. »Fortan wird die Erde mit diesen anderen Welten verbunden sein. Die Isolation hat ein Ende. Die Erde wird endlich ein
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