Grünes Gift
kollektiven Bewußtsein nicht besonders zuträglich. Das kollektive Bewußtsein war so gut wie noch nie mit Wut konfrontiert worden und wußte daher absolut nicht damit umzugehen. Beau betrat den Ballsaal. Im selben Augenblick kam die Arbeit zum Erliegen. Alle Augen richteten sich auf ihn. Sie spürten alle die gleiche Wut in sich, hatten aber keine Ahnung, warum.
Beaus Nasenflügel zitterten, als er sich nach Alexander umsah. Er entdeckte ihn am Steuerpult.
Entschlossen ging er auf seinen Assistenten zu und umklammerte mit seinen schlangenartigen Fingern dessen Arm. »Sie ist weg! Ich will, daß sie gefunden wird. Sofort!«
Kapitel 19
12.45 Uhr
P itt stand vor der verfallenen Tankstelle und schoß ein paar Steinchen durch die Gegend. Um sich irgendwie zu beschäftigen, bückte er sich, hob ein paar weitere Steinchen auf und pfefferte sie gedankenverloren gegen die alten Benzinpumpen. Die Kiesel klirrten auf dem rostigen Metall. Dann hielt er sich die Hand vor die Augen, um die hellen Sonnenstrahlen abzuschirmen, und ließ seinen Blick zum hundertsten Mal über die leere Straße schweifen. Bis zum Horizont war nichts zu sehen. Die Sonne brannte inzwischen noch heißer und intensiver als vor zwei Stunden. Allmählich machte er sich Sorgen. Seiner Berechnung nach hätte sie schon längst da sein müssen.
Als er sich gerade wieder in den Schatten der Veranda zurückziehen wollte, sah er, daß sich in der Ferne die Sonne auf einer Windschutzscheibe spiegelte. Ein Auto näherte sich. Unbewußt glitt seine Hand hinab und tastete nach dem Revolver. Es bestand durchaus die Möglichkeit, daß es nicht Cassy war.
Inzwischen konnte er erkennen, daß es sich um einen neueren Camper mit großen Reifen und einem Dachgepäckträger handelte. Der Wagen fuhr schnell.
Für einen Augenblick erwog er, sich wie Harlan im Haus zu verstecken, doch er verwarf den Gedanken schnell wieder. Schließlich stand Jesses Wagen deutlich sichtbar in der Einfahrt. Das Fahrzeug bog ab und hielt vor den Benzinpumpen an. Da die Scheiben dunkel getönt waren, konnte Pitt immer noch nicht erkennen, ob Cassy in dem Wagen saß. Doch dann ging endlich die Tür auf, und er sah sie.
Er war gerade noch rechtzeitig bei ihr, um ihr den hohen Tritt hinabzuhelfen. Sie hustete heftig und hatte rote Ränder um die Augen.
»Komm mir lieber nicht zu nahe«, warnte sie. Ihre Stimme klang stark erkältet. »Vielleicht ist die Grippe doch ansteckend.«
Pitt ignorierte ihre Bemerkung und umarmte sie stürmisch. Der einzige Grund, weshalb er sie nach einer Weile wieder losließ, war, daß er ihr den Antikörper injizieren mußte.
»Ich habe eine Spritze dabei«, sagte Pitt. »Ich sollte dir den Wirkstoff so schnell wie möglich injizieren, und zwar am besten in die Vene.«
»Wo willst du es machen?«
»In Jesses Wagen.«
Sie gingen um das Fahrzeug herum zur Schiebetür.
»Wie geht es dir?« fragte Pitt.
»Furchtbar«, erwiderte Cassy. »Außerdem hatte ich Probleme mit dem Wagen. Die Fahrt hierher war grauenhaft. Mir tun sämtliche Knochen weh. Fieber habe ich wohl auch. Vor einer halben Stunde hatte ich Schüttelfrost. Kannst du dir das vorstellen - bei dieser Hitze?«
Pitt öffnete die Tür und bat Cassy, sich auf die Sitzbank zu legen. Dann bereitete er die Spritze vor und legte ihr den Stauschlauch um. Doch bevor er die Nadel ansetzte, gestand er ihr, daß er noch nie jemandem eine intravenöse Injektion verabreicht hatte.
»Ich will es gar nicht hören«, entgegnete Cassy und sah in die entgegengesetzte Richtung. »Tu es einfach. Schließlich bist du doch auf dem besten Wege, Arzt zu werden.«
Pitt hatte zwar schon Tausende von Malen zugesehen, wie Medikamente intravenös verabreicht wurden, doch er hatte es noch nie selbst gemacht. Aber jetzt war jede Minute kostbar, und er hatte keine andere Wahl. Er traf die Vene auf Anhieb, und Cassy versicherte ihm, daß es nicht schlimm gewesen sei.
»Du bist eben hart im Nehmen«, stellte Pitt fest.
»Nein, im Ernst«, entgegnete Cassy. »Ich habe fast gar nichts gespürt.« Sie hatte ihren Satz kaum beendet, als sie von einem so heftigen Hustenanfall geschüttelt wurde, daß sie nach Luft schnappen mußte.
Pitt dachte sofort an Harlans Warnung, daß sie womöglich mit einem Schock auf die Injektion reagierte. Er hatte zwar mal gelernt, wie man eine kardiopulmonale Wiederbelebung durchführte, aber angewendet hatte er sein theoretisches Wissen noch nie. Ängstlich nahm er ihre Hand und fühlte ihren
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