Grünes Gift
noch nicht. Aber ich sehe mal im Putzschrank nach. Eine Schere liegt in der oberen Schublade.«
»Ein Milchpulverglas wäre prima«, entgegnete Pitt. »Können Sie mir auch Latexhandschuhe besorgen?«
»Ja«, erwiderte Jesse. »Kein Problem. Ich bin gleich zurück.« Er trieb tatsächlich alle Utensilien auf, die Pitt benötigte, worauf dieser vorsichtig den nassen Fleck aus der Schreibtischunterlage herausschnitt und in das Milchpulverglas beförderte. Obwohl die Unterseite der Schreibtischunterlage nicht naß geworden zu sein schien, desinfizierte er vorsichtshalber den ganzen Schreibtisch mit der Chlorbleiche. Die Handschuhe und die Schere wanderten in einen Plastikbeutel. »Ich denke, wir sollten Dr. Miller anrufen«, schlug Pitt vor, als er fertig war.
»Jetzt?« fragte Jesse. »Mitten in der Nacht? Es ist schon nach zwei!«
»Sie will bestimmt umgehend informiert werden«, vermutete Pitt, »und analysieren, was sich in dieser Probe befindet.«
»Okay«, stimmte Jesse zu. »Rufen Sie sie an! Ich muß noch mal kurz beim Captain reinschauen. Wenn ich zurück bin, können Sie mir ja sagen, ob ich Sie am Medical Center oder zu Hause absetzen soll.«
Er steuerte auf das Büro des Captains zu; in seinem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander. Es waren so viele verrückte Dinge passiert, und das in kürzester Zeit. Er fühlte sich wie betäubt. Außerdem war er völlig erschöpft, weil er um diese Zeit normalerweise längst im Bett lag. Alles erschien ihm unwirklich, vor allem daß er nach zwei Uhr morgens unterwegs war zu seinem Chef.
Die Bürotür des Captains war angelehnt. Jesse stieß sie auf und blieb im Türrahmen stehen. Der Captain saß an seinem Schreibtisch und machte sich eifrig Notizen, als ob es mitten am Tage wäre. Jesse mußte zugeben, daß sein Chef trotz der vorgerückten Stunde besser aussah als im ganzen letzten Jahr. »Entschuldigen Sie bitte«, machte Jesse sich bemerkbar. »Sie wollen mich sprechen?«
»Kommen Sie rein!« forderte der Captain ihn mit einem freundlichen Grinsen auf und winkte ihn an den Schreibtisch. »Schön, daß Sie noch vorbeikommen. Wie geht es Ihnen jetzt?«
»Ich bin ziemlich müde«, erwiderte Jesse. »Und Sie fühlen sich kein bißchen krank?«
»Nein«, antwortete Jesse. »Gott sei Dank.«
»Haben Sie die Geschichte mit den beiden Jugendlichen erledigt?« fragte der Captain. »Noch nicht ganz.«
»Nun gut«, fuhr der Captain fort. »Ich wollte Sie für Ihre harte Arbeit belohnen.« Er zog die mittlere Schublade seines Schreibtischs auf und nahm eine schwarze Scheibe heraus. Völlig überrascht und geschockt riß Jesse die Augen auf. »Ich möchte Ihnen dieses Symbol für einen Neubeginn überreichen«, sagte der Captain. Er hatte die schwarze Scheibe auf seine Handfläche gelegt und streckte sie Jesse entgegen.
Jesse spürte, wie Panik in ihm aufkam. »Vielen Dank, Sir. Aber dieses Geschenk kann ich nicht annehmen.«
»Natürlich können Sie«, entgegnete der Captain. »Die Scheibe sieht zwar nach nichts aus, aber sie wird Ihr Leben verändern. Glauben Sie mir!«
»Das glaube ich Ihnen gerne«, sagte Jesse. »Aber ich habe sie nicht verdient.«
»So ein Unsinn!« widersprach der Captain. »Jetzt nehmen Sie sie schon!«
»Nein danke, wirklich nicht«, versuchte Jesse sich aus der Affäre zu ziehen. »Ich bin total müde und muß dringend ins Bett.«
»Sie nehmen jetzt die Scheibe!« sagte der Captain mit einer Bestimmtheit, die keinen Widerspruch duldete. »Dies ist ein Befehl.«
»Jawohl, Sir«, entgegnete Jesse und hielt dem Captain seine zitternde Hand hin. Vor seinem geistigen Auge sah er die glitzernde Chromnadel hervorschießen. Doch gleichzeitig rief er sich in Erinnerung, daß der Mechanismus erst in Gang gesetzt worden war, als er den Rand berührt hatte. Ihm fiel auf, daß auch der Captain es vermied, den Rand anzufassen; er balancierte die Scheibe auf der flachen Hand. »Nun nehmen Sie sie schon!« sagte der Captain aufmunternd. Jesse machte ebenfalls eine flache Hand und hielt sie neben die des Captains, die Handfläche nach oben gedreht. Der Captain sah ihm in die Augen. Jesse hielt dem Blick stand und starrte zurück. Dabei registrierte er, daß die Pupillen seines Chefs stark erweitert waren.
Für ein paar Sekunden standen sie beide wie erstarrt. Schließlich schob der Captain vorsichtig den Daumen unter die Scheibe, hob sie ein wenig an und legte den Zeigefinger auf die Kuppe. Er vermied es ganz offensichtlich, den Rand zu
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