Grünes Gift
herhuschenden Augen sah er aus wie immer. Das gleiche galt für seine Kleidung. Er trug ein übergroßes Sweatshirt und eine extrem weite Jeans.
»Wie geht es Candee?« fragte Cassy. »Ich habe sie seit gestern nicht gesehen.«
»Und was ist mit ihren Eltern?«
»Sie sind total durchgeknallt«, erwiderte Jonathan und lachte. »Meine Mom hat mit der Mutter von Cassy gesprochen, aber es hat absolut nichts gebracht.«
»Und wie geht es deiner Mutter?« fragte Cassy und versuchte in seinen Augen zu lesen. Doch vergeblich, denn sie sprangen wie ein Ping-Pong-Ball hin und her.
»Meiner Mutter geht es gut«, erwiderte Jonathan. »Warum fragen Sie?«
»Ach, weißt du, in letzter Zeit verhalten sich alle möglichen Leute ziemlich seltsam«, erklärte Cassy. »So wie Candees Eltern und Mr. Partridge.«
»Ich weiß«, entgegnete Jonathan. »Aber meine Mutter benimmt sich wie immer.«
»Und dein Vater?«
»Mit dem ist auch alles in Ordnung.«
»Gut«, stellte Cassy fest. »Dann würde ich jetzt wirklich gerne reinkommen und kurz mit deiner Mutter reden.« Jonathan schloß die Tür hinter ihr und schrie aus vollem Halse zu seiner Mutter hinauf, daß sie Besuch habe. Sein Gebrüll hallte so laut durch das Haus, daß Cassy erschrocken zusammenfuhr. Obwohl sie sich vorgenommen hatte, ganz ruhig zu bleiben, waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt. »Möchten Sie ein Glas Wasser?« bot Jonathan an. »Oder vielleicht etwas anderes?«
Bevor Cassy antworten konnte, erschien Nancy Seilers oben an der Balustrade. Mit ihrer ausgewaschenen Jeans und ihrer weiten Bluse war sie leger gekleidet.
»Wer ist denn da?« rief sie. Sie konnte Cassy zwar sehen, doch die Sonne fiel so durch das Fenster ins Treppenhaus, daß das Gesicht der Besucherin im Schatten lag. Jonathan brüllte hinauf, wer es war und bat Cassy, ihm in die Küche zu folgen. Sie hatten kaum Platz genommen, als Nancy auch schon in der Tür stand.
»Das ist aber eine Überraschung«, begrüßte Nancy sie. »Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?«
»Gerne«, erwiderte Cassy. Nancy bat Jonathan, Tassen auf den Tisch zu stellen, während sie selbst zum Herd ging und die Kaffeekanne holte. Soweit Cassy es beurteilen konnte, hatte Nancy sich nicht verändert. Sie sah genauso aus und benahm sich auch genauso wie bei ihrer ersten Begegnung. Als Nancy den Kaffee einschenkte, entspannte Cassy sich ein wenig. Doch dann sah sie auf Nancys Zeigefinger ein frisches Pflaster. Ihr Puls begann erneut zu rasen. Eine Verletzung an der Hand war genau das, was sie nicht sehen wollte. »Wie kommen wir zu der Ehre Ihres Besuchs?« fragte Nancy und goß sich selber eine halbe Tasse Kaffee ein. »Was ist mit Ihrem Finger passiert«, brachte Cassy stockend hervor.
Nancy starrte das Heftpflaster an, als ob sie es zum ersten Mal sähe. »Ich habe mich geschnitten. Aber es ist nicht weiter tragisch.«
»Mit einem Messer?« hakte Cassy nach. Nancy sah Cassy entgeistert an. »Spielt das eine Rolle?«
»Nun ja…«, stammelte Cassy. »Ja, es spielt eine Rolle. Es ist sogar extrem wichtig.«
»Miss Winthrope macht sich Sorgen wegen all der Leute, die sich plötzlich verändert haben«, erklärte Jonathan seiner Mutter und leistete Cassy ein weiteres Mal Beistand. »So wie Candees Mom. Ich habe Miss Winthrope schon erzählt, daß du mit ihr geredet hast und den Eindruck hattest, daß sie vollkommen durchgeknallt ist.«
»Jonathan!« fuhr Nancy ihn an. »Hatten wir uns nicht geeinigt, daß die Sache mit den Taylors unter uns bleiben sollte. Zumindest bis…«
»Wir können nicht länger warten«, fiel Cassy ihr ins Wort. Der kleine Ausbruch hatte sie überzeugt, daß Nancy nicht infiziert war. »Nicht nur die Taylors haben sich total verändert - ziemlich viele Leute in unserer Umgebung benehmen sich plötzlich äußerst seltsam. Bevor die Leute sich verändern, bekommen sie eine Art Grippe. Wahrscheinlich wird sie durch kleine schwarze Scheiben verbreitet, die stechen, wenn man sie am Rand berührt.«
Nancy starrte Cassy an. »Meinen Sie eine schwarze Scheibe mit einer Art Höcker in der Mitte und einem Durchmesser von etwa vier Zentimetern?«
»Ganz genau«, entgegnete Cassy. »Haben Sie auch schon welche gesehen? Jede Menge Leute tragen sie neuerdings mit sich herum.«
»Candees Mutter wollte mir unbedingt eine geben«, erklärte Nancy. »Haben Sie mich deshalb auf mein Pflaster angesprochen?« Cassy nickte.
»Ich habe mich mit einem Messer verletzt«, sagte Nancy, »beziehungsweise
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