Gruenkohl und Curry
wollte durch Beharrlichkeit und symbolische Aktionen die Briten zum Abzug bewegen – Indien sollte unter Wahrung der Einheit unabhängig werden. Gemeinsam mit dem Politiker Jawaharlal Nehru, dem späteren ersten Ministerpräsidenten Indiens, führte Gandhi die Unabhängigkeitsbewegung an. Der Führer der Muslimliga, der smarte Jurist und Politiker Mohammed Ali Jinnah, sah dagegen seine Chance, Gründungsvater eines islamischen Staates zu werden.
Was ab Mitte der Vierzigerjahre folgte, waren Massaker zwischen Muslimen und Hindus in bislang ungekanntem Ausmaß, Kämpfe, in die auch Sikhs hineingerieten. Hindus warfen Muslimen vor, das Land zu spalten. Muslime kritisierten, in dem von Hindus dominierten Indien unterdrückt zu werden. Ein Funke reichte – und überall explodierte es. Es war eine Zeit, in der sechzigtausend britische und zweihunderttausend einheimische Soldaten damit überfordert waren, ein Land mit damals dreihundert Millionen Einwohnern vor sich selbst zu schützen.
Die Alten in Indien und Pakistan erinnern sich heute noch an die Vertreibung und an die Massenflucht. Viele von ihnen machen die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien für ihr Schicksal verantwortlich, die, vom Zweiten Weltkrieg geschwächt und der Unabhängigkeitsforderungen der Inder und der brutalen Kämpfe zwischen Hindus und Muslimen überdrüssig, den Subkontinent verließ und sich selbst überließ.
Es hatte sich abgezeichnet, dass Gandhi sich nicht durchsetzen würde mit seinem Wunsch nach Erhalt der Einheit Indiens. Jinnah hatte sein Ziel erreicht. Die Briten zogen ab, am 14. August 1947 wurde der Staat Pakistan gegründet, einen Tag später die Republik Indien.
***
Mahetalat hat die Bilder aus jener Zeit noch vor Augen. Sie war damals ein junges Mädchen aus wohlhabender muslimischer Familie, dreizehn Jahre vielleicht, alt genug, um die Vorgänge mitzubekommen.
»Geier saßen auf den Dächern, unzählige große, kräftige Tiere, schwarz und grau. Ihre Schnäbel waren blutverschmiert. Hunderte zogen ihre Kreise am Himmel, man konnte sie vom Afzal Mahal aus sehen. Sie warteten alle darauf, dass die Menschen, die auf den Straßen lagen, ihren letzten Atemzug taten.
Es waren geschwächte Menschen, über ihrem Gerippe lag die Haut wie eine achtlos hingeworfene Decke.
Überall roch es nach Verwesung. Es war schrecklich.
Hier und da stürzte sich ein Vogel zum Boden – ein Mensch war gerade gestorben und zu Nahrung für die Geier geworden. Wer noch einen Rest von Leben in sich hatte, beachtete die Geier nicht, wartete nur auf Erlösung, endlich keinen Durst mehr, keinen Hunger, keine quälende Hitze, keine Angst mehr, von mörderischen Andersgläubigen massakriert oder bei lebendigem Leib verbrannt zu werden. Es waren Menschen, die aus ihren Häusern gejagt worden waren oder vorsorglich das Nötigste zusammengepackt hatten, in der Hoffnung, eine neue Heimat zu finden: die Muslime im gerade gegründeten Staat Pakistan, die Hindus und Sikhs in Indien. Nicht alle kamen weit. Das waren dann die Menschen, um die sich die Geier kümmerten.«
Sie hatte Tränen in den Augen.
»Eine muslimische Familie, die von Lucknow nach Pakistan fliehen wollte, steckte ihre drei Kinder in einen Sack mit Habseligkeiten, nur noch die Köpfe guckten raus. Die Eltern banden den Sack an einen kräftigen Stock, sodass Mutter und Vater die Last gemeinsam tragen konnten. So machten sie sich auf den Weg Richtung Westen, sie gingen hier am Afzal Mahal vorbei.«
Sie machte eine lange Pause.
»Auf diese Weise flohen Millionen Muslime Richtung Westen. Und auf dieselbe Weise, mit Gepäck in Säcken, auf Karren oder an einen dicken Ast gebunden, kamen auch Hindus aus dem Westen zu uns nach Lucknow. Hindus und Muslime, sie alle litten damals gleichermaßen. Und die Sikhs litten besonders, denn die neue Grenze zwischen Indien und Pakistan verlief mitten durch ihre Heimat, durch den Punjab.«
Ich musste an die betrunkenen Randalierer im Flugzeug denken, die beiden Punjabis. Welches Schicksal ihre Familien 1947 wohl erlitten hatten?
Die Teilung Indiens hatte eine der größten Völkerwanderungen in der Geschichte der Menschheit, eine unglaubliche Tragödie ausgelöst. Millionen Menschen verließen ihre Häuser, ihre Freunde, ihre Verwandten, um sich eine neue Heimat zu suchen.
Der indische Schriftsteller Khushwant Singh hat das dunkle Kapitel der Geschichte Indiens in seinem 1956 erschienenen Roman ›Der Zug nach Pakistan‹ aufgearbeitet. Das Buch
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