Gruenkohl und Curry
waren sogar Schmuckkästchen und Schränkchen für Gepäck eingebaut. Ein solches Fortbewegungsmittel sorgte damals in Lucknow für ähnliches Aufsehen wie heute ein teurer Sportwagen.
Afsar Begum bestellte regelmäßig ein Palki als Taxi, wenn sie jemanden besuchen oder zum Einkaufen in die
Hazratganj
wollte, in die Haupteinkaufsstraße, in der es herrliche Stoff- und Schmuckgeschäfte, Restaurants mit duftenden Speisen, Süßwarenhändler und Buchläden gab.
Lebensmittel kaufte der Koch der Familie gleich hinter dem Afzal Mahal, im alten Stadtteil von Lucknow. Über dem
Chowk
, der engen Gasse mit Hunderten von kleinen Geschäften, in denen die Verkäufer auf dem Boden hockten, wo sie nachts meist auch schliefen, lag immer eine Duftwolke von Gewürzen, gebratenen Zwiebeln, brutzelndem Fleisch und Curry. Und ständig hörte man ein Hämmern: Junge und alte Männer klopften in winzigen Werkstätten aus Silberklümpchen eine hauchdünne Folie –
Warraq
. Die verkauften sie an die Süßwarenhändler nebenan, die ihre Angebote mit der essbaren Silberfolie verzierten. Manchmal kauften auch reiche Privatleute Warraq, um damit hausgemachten Pudding oder Milchreis zu belegen. Geschmacklich veränderte das Silberpapier nichts, aber angeblich sollte es eine reinigende Wirkung auf den menschlichen Körper haben. Außerdem machte es vor Gästen viel her, großzügig mit Warraq belegte Süßspeisen zu servieren.
Wenn der Koch im Afzal Mahal frei hatte, bestellte Afsar Begum Kebabs beim besten Kebabbräter der Stadt, bei Tunde, dem Einarmigen. Aus dem Makel wurde schnell ein Markenzeichen: Kaum jemand in Lucknow kennt Tunde heute nicht. Der Einarmige ist längst tot, aber seine Enkel betreiben das etwas heruntergekommene Restaurant mit den nach wie vor besten Kebabs der Stadt weiter. Das Rezept für die kleinen, scharfen Frikadellen, die heiß und fettig mit Fladenbrot und Rettich als Beilage serviert werden, soll das bestgehütete Geheimnis von Lucknow sein.
»Man hat schon Hindus gesehen, die bei Tunde ein Kebab aßen, obwohl das Rindfleisch ist. So gut schmeckt das«, sagte Mahetalat und lachte.
Das Leben hatte es gut gemeint mit meiner Großmutter Afsar Begum. Ihre Großmutter, heißt es, soll eine bewunderte Prinzessin gewesen sein. Kazim Ali Khan, mit dem Afsar Begum verheiratet wurde, war zwar mindestens zwanzig Jahre älter als sie und brachte zwei Kinder von zwei anderen Frauen mit in die Ehe, aber immerhin war er der Sohn des
Raja
von Hassanpur. Raja, ein Wort aus dem Sanskrit, war ursprünglich ein hinduistischer Fürstentitel, aber mit wachsendem Einfluss der Muslime in Indien durften auch sie Rajas, Provinzherrscher, werden.
Als Spross einer der einflussreichsten Familien der Region studierte Kazim Ali Khan in Aligarh Wirtschaftswissenschaften und Recht. Noch während seines Studiums starb sein Vater, einer der Brüder des Verstorbenen übernahm die Aufgaben des Raja, solange mein Großvater, der eigentliche Erbe, seine Ausbildung noch nicht beendet hatte. Und mein Großvater wollte sein Studium unbedingt zu Ende bringen, bevor er seine Verpflichtungen als Raja übernahm: sich um Ländereien kümmern, für das Wohl der Menschen dort sorgen.
Doch sein Onkel war gierig und lebte verschwenderisch, vom Erbe wollte er nichts mehr herausrücken, stattdessen verscherbelte er die Besitztümer: Land, Häuser, Schmuck, wertvolle Bücher. Kazim Ali Khan hatte keine Lust, um das Erbe zu kämpfen. Er verzichtete auf den Titel des Raja, zumal man ihn in Lucknow ohnehin als
Nawab
, als islamischen Adelsmann behandelte. Nawabs waren zwar formell rangniedriger als Rajas, aber sie lebten dafür ein weniger verantwortungsvolles und daher sorgloseres Leben.
Ich selbst habe meinen Großvater Kazim Ali Khan als Kleinkind in Karatschi erlebt. Es gibt außerdem Fotos von seinem Besuch kurz nach meiner Geburt im verschneiten Alten Land: ein alter Mann, gekleidet wie ein islamischer Fürst, im Hollern-Twielenfleth der Siebzigerjahre.
Die Charakterisierungen Kazim Ali Khans in der Familie gehen weit auseinander. Je näher der Verwandtschaftsgrad, desto wohlwollender fallen die Urteile über meinen Großvater aus. Mein Vater hält sich eher zurück, seine Geschwister sprechen voller Respekt von ihrem Vater. Entferntere Verwandte machen dagegen keinen Hehl daraus, dass er gerne spielte, trank, sein höfisches Leben in vollen Zügen genoss. Schöne Frauen kamen ins Haus, trugen Gedichte auf Urdu vor und besangen in
Weitere Kostenlose Bücher