Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
Vom Netzwerk:
Hirsch, um diesen Platz zu erreichen.«
    »Nun, das beruhigt mich.«
    »Ja, der Dunkle Mann hat sie erschaffen, Ali. Er erschuf sie nur, um auszuprobieren, ob er dazu fähig war - aus seinem Unglauben heraus. Er wollte ein Wesen wie Old Hornie nicht in der Welt haben. Die Menschen hätten ihn erfunden, behauptete der Dunkle Mann, also wollte er etwas erfinden, das Old Hornie zur Strecke brächte. Doch er glaubte nie wirklich daran, es zu schaffen. Und als er es doch vollbracht hatte, glaubte er nie wirklich, daß die Meute Realität war. Als er dann schließlich einsah, daß die Hunde Wirklichkeit waren, mußte er feststellen, daß er keine Macht über sie hatte, weil solche Wesen immer nur sich selbst treu sind.«
    »Das ist schlimm«, meinte Ali.
    Mally nickte. »Aber das war schon immer so. Die Führer, denen die Menschen folgen, müssen erst die Führer umbringen, die vor ihnen da waren. ›Der Große Pan ist tot‹, schrien sie - nicht, weil er wirklich tot war, sondern weil sie wollten, daß er tot sei. Er und alle anderen seiner Art. Du hast ja seinen Vetter heute nacht erlebt, bist auf seinem Rücken geritten, und ich zweifle nicht daran, daß der Ziegenmann auf einer uralten Lichtung in Arkadien immer noch auf seiner Flöte spielt und die Nacht mit seinem Zauber beglückt - oder mit seiner Panik, ganz so, wie man sich ihm nähert. Es waren nur die Christen, die ihn verschwinden lassen wollten.«
    »Lewis mag die Christen auch nicht besonders«, nickte Ali.
    »Trotzdem sind sie nicht mal die Schlimmsten, mußt du wissen. Weder die ersten Christen noch die Christen unserer Zeit. Sie waren nur am erfolgreichsten - bis jetzt. Es ist lustig, daß sie Pan zu ihrem Teufel machten! Dabei ist der Sohn ihres eigenen Gottes der Vetter des alten Ziegenmannes.«
    Ali schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht genau, ob Götter wirklich sind oder nicht, aber so kann ich Jesus nicht sehen. Du weißt doch, daß Pan viel getrunken hat und hinter den Weibern her war.«
    »Er hat sie auch bekommen!« Mally lachte. »Trotzdem war er nicht böse. Die Christen haben ihn nur dazu gemacht.«
    »Aber Jesus ...«
    »Predigte Liebe, nicht den Haß. Sprach von einem himmlischen Königreich auf Erden. Die Menschen haben seine Worte verdreht, um ihr Gewissen zu beruhigen, Ali. Selbst das heutige Christentum ist nicht mehr das, was es einst war. Als es entstand, nahm es sich etwas von dieser und etwas von jener Religion und machte einen Glauben daraus, bis alles dann wieder auseinanderfiel - von innen heraus. Diese Bittlieder, die sie singen - wenn du sie genau studierst, findest du immer eine Passage, die alles verbietet, was man sich wünscht, und eine andere, die das alles stillschweigend duldet.«
    »So habe ich die Sache noch nie betrachtet.«
    »Ich auch nicht. Aber ich habe ’ne Menge mit dem Dunklen Mann geredet. Auch mit Lewis und anderen. Ich habe gelernt, die Wahrheit aus den Worten herauszuhören, die sie sagten.
    Ich glaube, ich hätte Jesus gemocht. Den Mann - und das Mysterium.«
    »Was ist mit dir? Bist du auch ein Mysterium?«
    Mally lächelte. »O nein. Ich bin ein Geheimnis. Das ist nicht dasselbe.«
    »Ich wünschte, du würdest das nicht dauernd wiederholen. Warum kannst du mir nicht einfach sagen, wer du bist?« Oder was, fügte Ali in Gedanken hinzu. »Lewis hat gesagt, du warst schon jung, als er jung war - aber du hast dich nie verändert. Du bist niemals älter geworden.«
    »Ist es so wichtig, alles zu wissen?« fragte Mally.
    »Je mehr man weiß, desto besser versteht man die Dinge. Wie kann ich eine Entscheidung treffen, wenn ich nicht alle Fakten kenne?«
    »Welche Entscheidung mußt du denn treffen?«
    Darauf wußte Ali keine Antwort.
    »Ich glaube, die Welt braucht ihre Mysterien und Geheimnisse. Ohne uns wäre sie kein so fröhlicher Ort.«
    »Die Welt ist ganz und gar nicht fröhlich«, gab Ali zu bedenken.
    »Ich wollte fröhlich auch als übermütig verstanden wissen. Ohne das Mysterium, das die Menschen das Traumland oder Märchenland nennen, verlöre die Welt ihre Tiefe. Den Resonanzboden für unsere heimliche Musik. Den Glanz, den wir ihrer Wildnis verleihen. Es leben auch Mysterien und Geheimnisse an Orten, die von Menschenhand geschaffen wurden, aber die sind nicht glücklich.«
    »Aber ebenso magisch?« fragte Ali.
    Mally schüttelte den Kopf. Ein eher bitteres Lächeln zeigte sich plötzlich auf ihren Lippen. »Nein - diesmal meinte ich tatsächlich glücklich. Sie sind nicht so glücklich.

Weitere Kostenlose Bücher