Grünmantel
treffen sollte, mußte sie doch wissen, was er wollte, oder nicht?
Das Gebell der Hunde, inzwischen viel näher, lenkte ihre Aufmerksam von dem Grünen Mann ab. Dann bleib eben ein Mysterium! dachte sie und kehrte zu Mally zurück, die ihr mit neugierigen Katzenaugen entgegensah.
»Was hast du gesehen?« fragte das wilde Mädchen.
»Ich weiß es nicht, bin mir nicht sicher. Vielleicht habe ich eher etwas empfunden als gesehen. Doch ich denke, er braucht mich nicht, Mally. Ich glaube nicht, daß ein Wesen wie dieses überhaupt jemanden oder etwas braucht.«
Mally nickte - ob zustimmend oder nur verstehend, konnte Ali nicht sagen. »Er weiß ein Geheimnis zu bewahren«, sagte sie.
»Mag sein. Nur, wie könnte ich ...«
Das Geifern der Hunde klang plötzlich sehr nah.
»Wir müssen gehen!« rief Mally.
Sie ergriff Alis Hand und lief mit ihr auf eine der Steingruppen zu. Sie ragten über ihnen auf, ihre Sockel waren dunkel und verwittert. Wie riesige Monumente standen sie gegen den Nachthimmel. Ali versuchte Mally aufzuhalten, doch das wilde Mädchen rannte auf die Steine zu, als wolle sie direkt in sie hineinlaufen.
»Mally!« schrie Ali und stemmte die Füße gegen den Untergrund.
Das wilde Mädchen antwortete nicht. Sie hob Ali auf ihre Arme und rannte unbeeindruckt vom Gewicht des Mädchens auf einen Stein zu. Ali schloß die Augen und erwartete jeden Moment den heftigen Anprall ...
Und im nächsten Augenblick rollten sie durch hohes Gras. Mally landete wie eine Katze auf den Füßen und rannte noch ein paar Schritte weiter. Ali richtete sich auf und sah sich um. Sie saß in Tonys Vorgarten.
Ein unwirkliches Gefühl überkam sie. Sie hatte geträumt - ganz sicher. Sie hatte im Schlaf Tonys Haus verlassen und alles nur geträumt. Das verborgene Dorf im Wald, Lewis, der alte Stein, die Tänzer. Der Hirsch und der wilde Ritt auf seinem Rücken, der Ort, dem die Mysterien entstammten - alles nur ein Traum.
Sie sah zu Mally hoch, die plötzlich wieder neben ihr stand. Wenn sie doch geträumt hatte, müßte Mally dann nicht auch verschwunden sein - jetzt, da sie aufgewacht war?
Vielleicht aber träumte sie Mally auch nur ...
Das wilde Mädchen streckte ihr eine Hand entgegen.
»Danke«, sagte Ali, weil sie sogar noch im Traum höflich sein wollte.
Mally sah sie an, und um ihre Lippen spielte ein leichtes Lächeln. Sie hatte immer noch keinen Hut auf, und ihr Haar war ein einziges Gewirr aus Kletten, Zweigen und kleinen Blättern.
Es war kein Traum. Dies wurde Ali bewußt, als sie die zwei kleinen Hörner bemerkte, die aus dem Haardickicht herausragten. Sie hätte Mally gern unzählige Fragen gestellt - jetzt und gleich -, doch plötzlich wurde die nächtliche Stille vom Peitschen eines Schusses durchbrochen. Und gleich danach durch den hellen Schrei einer Frau.
Ali und das wilde Mädchen fuhren gleichzeitig herum und sahen zur Straße hinüber, die zu Tonys Haus führte. Im Schein des Mondes bemerkten sie einige Gestalten. Ali erkannte jene, die ihnen am nächsten waren erst, als sie auf den Grünstreifen am Rand der Straße zutorkelte.
»Mom!« schrie sie, sprang auf und rannte auf ihre Mutter zu.
Mally war schneller und lief vor ihr her. Mit Schrecken bemerkte Ali, daß das wilde Mädchen vor Wut laut knurrte.
»Das ist meine Mutter!« rief Ali hinter ihm her.
Das rollende Echo eines weiteren Schusses verschluckte ihre Worte.
KAPITEL SIEBZEHN
Der Pistolenschuß riß ihn aus dem Fahrersitz des Transporters. Der Mann war schon draußen und hielt die Armbrust schußbereit, ehe Frankies Schrei zu ihm drang.
Er dachte nicht darüber nach, in welche Richtung er rannte. Automatisch lief er auf Valentis Haus zu. Der Knall des zweiten Schusses bestätigte die Richtung, und der Mann beschleunigte seine Schritte. Dabei verfluchte er sich für seine Selbstgefälligkeit, Louie Fucceri so einfach davonfahren zu lassen. Mann, er konnte so dumm sein! Louie konnte ihn oder den Wagen bemerkt und kehrtgemacht haben. Oder er hatte einfach ein anderes Team ausgeschickt, nachdem er sich vergewissert hatte, daß das Opfer zu Hause war.
Er wurde allmählich zu alt für solche Spielchen. Mehr war dazu nicht zu sagen. Ein Mann sollte wissen, wann er aufzuhören hatte. Sollten doch die jungen Kerle sich den Risiken aussetzen. Er war doch nicht auf den Job und den damit verbundenen Nervenkitzel angewiesen.
Da er erst beim Haus mit Ärger rechnete, war er auf die rennenden Gestalten auf der Straße nicht vorbereitet. Vier
Weitere Kostenlose Bücher