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Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
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seinen Bauch umschlungen und hast den Donner seiner Hufe im Wald vernommen. Was meinst du?«
    »Du hast vorhin gesagt, du erwartest von mir, daß ich ihn befreie, aber jetzt gehst du auf Nummer Sicher.«
    Mally schüttelte den Kopf. »Ich habe nur gesagt, du könntest es tun. Mir steht es nicht zu, dir vorzuschreiben, was du tun sollst.«
    »Ich glaube, ich möchte nach Hause. Ich bin völlig durcheinander, und meine Leute machen sich sicher Sorgen.«
    »Grundlos.«
    »Aber das wissen sie nicht.«
    »Stimmt. Ohnehin kommt die Meute näher. Horch!«
    Ali hörte sie, kaum daß Mally sie darauf hingewiesen hatte. Tatsächlich hatte sie sie schon eine ganze Weile gehört, aber es schien nur der Wind zu sein, und außerdem hatte sie sich auf Mallys Worte konzentriert. Das Kläffen der Hunde klingt beinahe so wie das Flötenspiel, dachte Ali. Es nahm von einem Besitz, ohne daß man es merkte - bis es zu spät war.
    »Kommt er jemals zur Ruhe?« fragte sie mit einem Blick auf den Grünen Mann.
    »O ja. Es gibt Nächte, da jagen die Hunde ihn nicht. Sie sind keine besonders klugen Kreaturen - nur sehr ausdauernd und hartnäckig.«
    Mit dem Hundegebell kehrte auch Alis Furcht zurück. Ihr Mund wurde trocken, und das Atmen fiel ihr schwer. Nervös räusperte sie sich. »Kann ... kann ich mit ihm reden ... mit dem Grünen Mann?« fragte sie. »Ist dafür noch Zeit ... ehe ...«
    »Ehe die Meute hier ist? Wahrscheinlich. Aber Mysterien reden nicht viel - nicht mit Leuten wie dir und mir, Ali. Ich halte es für besser, wenn wir umkehren. Möchtest du zum Stein zurück oder gleich zu Tonys Haus?«
    »Oh - zum Stein. Dort wird Tony auf mich warten - meinst du nicht?«
    Mally schloß die Augen und schüttelte dann den Kopf. »Nein, er ist zu Hause.«
    »Wie hast du das gemacht?«
    »Ich habe hinübergeschaut - von hier nach dort. Es ist viel einfacher, von hier nach dort zu schauen als umgekehrt, obwohl Poeten oder Barden und solche Leute es auch andersherum können. Es ist ein Teil ihrer Kunst.«
    »Kann ich das auch? Kannst du es mir zeigen?«
    »Ich könnte es, werde es aber nicht tun. Nicht jetzt. Komm, Ali, wir sollten gehen. Wenn die Meute unsere Witterung aufnimmt ...«
    Ali sah sie an, und ihre Unruhe wuchs. »Was geschähe dann? Ich dachte, sie seien nur hinter dem Hirsch her.«
    »Ja, schon. Aber wenn sie uns wittern, glauben sie, auch wir seien von hier. Denn du mußt wissen, daß der Dunkle Mann sie auf die Fährte jedes Mysteriums angesetzt hat. Und wir können ihnen nicht so leicht entkommen wie der Hirsch. Daher wird es Zeit für uns, vor den Hunden zu fliehen.«
    Mally nahm Alis Arm, doch Ali schüttelte ihre Hand ab. Bebend näherte sie sich der Stelle, wo der Grüne Mann stand. Als sie fast neben ihm stand, drehte er sich um, und sie verlor sich erneut in diesen Augen, feucht und dunkel, weise und dumm - alles zu gleicher Zeit. Sie versuchte, nicht zu blinzeln oder zur Seite zu sehen, obwohl sie am liebsten beides getan hätte. Ihm so nahe zu sein, schüchterte sie ein. Trotzdem wollte sie erfahren, ob in ihm der Wunsch nach Freiheit überhaupt vorhanden war. Wollte sehen, ob auch in seinen Augen dieser Ausdruck stand, den einige Tiere im Zoo hatten, der Ausdruck in den Augen der Feldmaus, die sie vor einem Jahr gefangen hatte. Damals hatte sie sich entschlossen, wie Gerald Durrell zu sein und früh damit anzufangen, wilde Tiere zu sammeln wie er. Nur daß sie die Feldmaus, nachdem sie sie eine Nacht gefangengehalten hatte, wieder freiließ, weil sie diesen Ausdruck in den Augen des Tiers nicht ertragen hatte, weil sie nicht mit ansehen konnte, wie der kleine Körper nicht zu zittern aufhörte.
    Sie forschte in den Augen des Grünen Mannes und hielt, so lange sie es wagte, seinem Blick stand, mußte aber dann doch die Augen senken, ohne eine Antwort gefunden zu haben. Seine Augen entflammten etwas in ihrer Brust, das schließlich wie ein Feuer brannte. Das Feuer, von dem Mally gesprochen hat, dachte sie. Es rann an ihren Nerven entlang und durchzuckte sie wie ein elektrischer Schlag. Erst als sie den Blick senkte, merkte sie, daß sie die ganze Zeit den Atem angehalten hatte.
    Sie holte zweimal ganz tief Luft, und allmählich kühlte sich das Feuer in ihrem Innern ab. Sie sah den Grünen Mann nicht mehr an. War es so wichtig, alles zu wissen? Vielleicht war es unmöglich, über irgendwelche Dinge überhaupt etwas zu wissen, ganz zu schweigen davon, alles zu wissen. Wenn sie aber eine Entscheidung über den Hirsch

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