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Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
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Brisingamen in den Händen zu halten wie Alan Garners Susan.
    »Können ... können wir überhaupt zurückkehren?«
    »Zurückkehren?« Mally lachte. »Es ist leicht zurückzukehren. Das Herkommen ist schwierig. Ich kann nur herkommen, wenn ich den Hirsch reite, und jedesmal denke ich, ich bleibe für immer oder wenigstens für eine Woche ... Aber dann zieht es mich immer wieder zurück. Zu meinen eigenen Wäldern vermutlich, sind sie auch noch so kümmerlich. Oder vielleicht ist es auch Tommys Flötenspiel ...«
    »Warum sind wir hier?«
    »Zum Spaß.«
    ›Girls Just Want To Have Fun‹, schoß es Ali durch den Kopf. »Nein, ich meine, ich verstehe das. Es ist nur ...«
    »Reicht das nicht als Grund? Dann schau dich um, Ali. Atme tief die Luft ein. Das ist wahre Schönheit. Dieser Ort hat seine Ursprünglichkeit, sein Herz noch nicht verloren.«
    Ali ließ den Blick über die weiten dunklen Wälder wandern. Die Luft war kalt, aber belebend. Sie drang tief in die Lungen und weckte jede einzelne Zelle in ihrem Körper, während der frostige reine Sauerstoff durch ihren Kreislauf strömte. Und jetzt war es ihr überhaupt nicht mehr kalt. Wahrscheinlich hatte sich ihr Körper der Temperatur ein wenig angepaßt.
    »Es ist wunderschön«, bestätigte sie.
    Mally lachte sie an. »Das ist wahre Schönheit, ein Wunder, Magie. Reines Entzücken. Ein Mysterium.« Ihre Stimme hallte im letzten Wort nach und erfüllte es mit einer Schwingung, bei der es Ali angenehm schauerte.
    »Lewis spricht immer von Old Hornie, als sei der das ganze Mysterium«, fuhr Mally fort. »Als ob all seine wunderbaren Wesen, seine herrlichen Erscheinungsformen von Grünmantel bis zum klassischen Pan nur in diesem einen Wesen aufgingen, aber das ist nicht so. Das hier« - sie beschrieb mit dem Arm einen weiten Bogen - »ist das Mysterium. Wir erfahren nur seine Spitzen, einen Hauch seiner Luft, ein Wispern seiner Klänge, und unsere Herzen schlagen schneller. Das ist der Grund, warum Old Hornie magische Kräfte hat. Er ist ein Teil all dessen, aber nur ein kleiner Teil. Er ist ein Stück, das sich daraus gelöst hat, und obwohl er jederzeit hierher zurückkommen kann, gehört er nicht mehr dazu. Deshalb durcheilt er unsere Welt und sucht nach anderen Stückchen, die sich über die Jahre hinweg ebenfalls gelöst haben. Sie sind die Mysterien unserer Welt.«
    »Und das ist alles?« fragte Ali.
    »Nein, so einfach ist es nun auch wieder nicht. Die Menschen haben wunderbare Gehirne; sie können sich etwas vorstellen. Sie können damit wundervolle Dinge anstellen. Kein Tier kann das. Wenn ein Stück dieser Magie sich löst und in unsere Welt hinüberschwebt, geben die Menschen ihm mit ihrem Verstand eine Gestalt. Sie erschaffen dann einen Pan, einen Odin, einen Jesus. Hat Lewis dir erzählt, wie das Mysterium reflektiert und zu dem wird, was man selbst hineinprojiziert?«
    Ali nickte.
    »Das ist der Grund dafür.«
    »Aber ...« Ali schüttelte nachdenklich den Kopf. »Religionen bauen auf diesen Dingen auf, Menschen leben danach, glauben daran ...«
    »Religionen gründen sich auf Mysterien«, entgegnete Mally. »Das war schon immer so.«
    »Aber wenn sie nicht wirklich sind, dann ...«
    »Nein«, fiel Mally ihr ins Wort. »Sie sind wirklich. Das Märchenland wurzelt in unserer Seele, wird aber in diesem Ort real. Durch diesen Ort. Die Götter, Dämonen und die Zauberformeln, die Hexen und Zauberer anwenden - all das ist real. Und alles kommt von diesem Ort her. Erkennst du das nicht? Dieser Ort ist der Nährboden für die Schönheit, für die Magie.«
    »Aber wenn du von Gott, dem Himmel und all dem anderen sprichst ...«
    »Ihr sprecht davon, du und Lewis - und auch der Dunkle Mann hat davon gesprochen. Ich jedoch nicht.« Mally runzelte die Stirn und suchte nach den richtigen Worten, um Ali verständlich zu machen, was sie sagen wollte. »Alle diese Götter und Propheten«, sagte sie schließlich, »sind diesem Nährboden entsprungen, wurden aber zu eigenen Wesen. Vielleicht haben die Menschen sie durch ihre Vorstellung erschaffen, doch kaum waren sie Wirklichkeit, wurden sie zu dem, was sie sein sollten - und nicht immer zu dem, was die Menschen erwarteten. Zum Beispiel wurden sie zu den Hunden des Dunklen Mannes.«
    Ali schaute sich nervös um. Sie hatte sie inzwischen völlig vergessen.
    »Du tust gut daran, dich vor ihnen in acht zu nehmen«, meinte Mally, »doch im Moment brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Sie brauchen viel länger als der

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