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Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
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in dem gußeisernen Ofen wieder an, legte ein paar Holzscheite auf die Glut und setzte einen Kessel mit Wasser auf. Trotz seiner langsamen Bewegungen zeigte seine Besucherin nicht die geringste Ungeduld, machte auch keinerlei Anstalten, das unbeschwerte sanfte Schweigen zwischen ihnen zu brechen. Sie rührte sich nicht, bis der Tee gebraut war und der dampfende Becher vor ihr stand.
    »Ich habe das hier für dich gefunden«, sagte sie dann, zog ein Taschenbuch aus der Jackentasche und reichte es ihm. Er lächelte zum Dank und nahm es entgegen. Das Buch sah noch fast neu aus. Der Vordergrund des Umschlags zeigte einen weißen Wolf. Es schneite. Eine fast nackte Frau mit üppigen Brüsten stand hinter dem Wolf, und hinter ihr waren ein Satyr und der Vollmond zu sehen. Der Titel des Buches hieß Wolfswinter , der Autor war Thomas Burnett Swann. Lewis fragte sie nicht, wo sie das Buch ›gefunden‹ hatte.
    »Es erinnerte mich an Tommys Hund - diesen Wolf.«
    »Er sieht ein wenig aus wie er, nicht wahr?« meinte Lewis.
    Sie nickte. »Ist es ein gutes Buch?«
    »Nun, das weiß ich jetzt noch nicht.«
    »Wirst du es mir vorlesen?«
    Lewis lächelte. »Sicher. Aber wir können es nicht in einer Nacht ganz lesen.«
    »Das ist schon in Ordnung.«
    Lewis setze seine Brille wieder auf, legte in das Buch, in dem er vor ihrem Eintreffen gelesen hatte, ein Lesezeichen und schob es beiseite. Dann räusperte er sich, hielt das Taschenbuch näher an die Lampe und begann ihr daraus vorzulesen.
    »Mir gefällt es«, meinte sie später, als Lewis’ Kehle vom lauten Lesen kratzte und er damit aufhörte.
    »Verstehst du denn alles?«
    Sie zuckte die Schultern. »Die Namen sind merkwürdig, aber ich mag es wirklich. Wirst du mir morgen weiter daraus vorlesen?«
    »Natürlich.«
    Sie musterte ihn lange mit ihren grünen Augen, und ihr ganzer Körper lag lässig und entspannt im Sessel. Dann, mit einer plötzlichen anmutigen Bewegung, sprang sie auf und war schon bei der Tür.
    »Ich muß jetzt gehen, Lewis«, sagte sie, öffnete die Tür und drehte sich noch einmal um. »Ich habe sie gesehen«, fügte sie hinzu. »Im Haus des dunklen Mannes.«
    »Bist du hineingegangen?«
    Er saß immer noch am Tisch, drehte sich aber nach ihr um, als sie nicht antwortete. Der Türrahmen war leer, die Tür stand offen. Kopfschüttelnd stand er auf und schlurfte zu Tür. Dort blieb er lange stehen, schaute in die Dunkelheit hinaus und lauschte, ehe er schließlich die Tür schloß. Am Tisch nahm er das Buch wieder in die Hand, das sie ihm gebracht hatte.
    Sie konnte sich lautlos wie ein Gespenst bewegen, wenn sie es wollte. Er fragte sich, was die neuen Leute in dem Haus empfinden mochten, wenn sie darin herumspukte.
    Er blieb eine Weile am Tisch stehen und dachte über sie und darüber nach, wie die Neuen sein mochten; dann legte er das Buch wieder hin. Ihre Tassen stellte er ins Waschbecken. Er würde sie am Morgen spülen, wenn er frisches Wasser aus dem Brunnen geholt hatte. Er nahm die Lampe und stieg zum Speicher hinauf, wo sein Bett auf ihn wartete.

KAPITEL VIER
    Den Sonntag verbrachten Ali und ihre Mutter damit, im Haus weiter Ordnung zu schaffen. Am Montagmorgen gingen sie in Perth einkaufen und erkundeten ihre neuen Umgebung. Nach einem späten Mittagessen in der Maple Drop-Bäckerei kehrten sie nach Hause zurück. Erst am Dienstagnachmittag, nachdem sie einige Stunden für ihre Examen gebüffelt hatte, fand Ali Zeit, Tony zu besuchen.
    Sie ging die Seitenstraße hinauf, die zu seinem Haus führte. Dort folgte sie dem Geräusch der Hammerschläge, die hinter dem Haus ertönten. Tony zimmerte sich gerade einen Zaun für seinen Gemüsegarten.
    »Hallo, Kind, wie geht’s?«
    »Ganz gut. Ich mußte den ganzen Morgen lernen - Geschichte.« Sie verzog das Gesicht. »Doch für den Rest des Tages kann ich tun, was ich möchte.«
    »Was ist denn an Geschichte so schlimm?« fragte Valenti. »Es ist doch wichtig, die Ursprünge der Dinge kennenzulernen. Wie kannst du vor etwas Achtung haben, wenn du nicht weißt, wo es herkommt? Alles im Leben hat seinen Platz, und nur die Geschichte verrät dir, wie es dahingekommen ist.«
    »Das kann schon sein. Aber hier müssen wir doch nur Daten und Ereignisse auswendig lernen. Wahrscheinlich werde ich die Prüfung schmeißen, weil ich mich an nichts erinnern kann.«
    »Ein kluges Mädchen wie du? Du wirst es schon schaffen.«
    Wenn dies hier New York wäre und er seinen Platz in der fratellanza nicht verloren hätte,

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