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Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
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zu bekämpfen, selbst wenn die Freunde unrecht hatten und die Feinde im Recht waren; man hatte ihm beigebracht, seine Ehre und Würde um jeden Preis zu verteidigen und auch nicht den kleinsten Fehler oder die geringfügigste Beleidigung ungeahndet durchgehen zu lassen; man hatte ihm beigebracht, Geheimnisse zu bewahren - omertà , das Gesetz des Schweigens - und vor Behörden und Gesetzen immer auf der Hut zu sein.
    Das alles hatte er immer beherzigt, doch in den Augen der fratellanza hatte er sich gegen jene gewandt, die ihn respektiert und mit ihm gearbeitet hatten - zunächst durch seinen aus persönlichen Gründen motivierten Mord an Eddie Pinelli und darin durch den Mord an seinem eigenen padrone . Beides war nicht zutreffend, doch hatte ihn die Tatsache, daß die fratellanza es glaubte, zum Geächteten gemacht. Es gab kein Gericht, bei dem er um Gerechtigkeit nachsuchen konnte. Er war bereits verurteilt, und in der Bruderschaft war das einzige Urteil der Tod. Erst jetzt, nachdem er gezwungenermaßen alle Brücken zu seinem früheren Leben hatte abbrechen müssen, hatte er die Dinge allmählich in Frage gestellt.
    Die Ehre eines Mannes war wichtig, klar doch. Auch daß man ihm Respekt zollte. Aber dann dachte Valenti darüber nach, wie es gewesen war, als er in das Geschäft einstieg und wie sein Leben jetzt aussah. Wenn er nur daran dachte, wie leicht der Terror, auf den die fratellanza ihre Herrschaft stützte, gegen ihn selbst gekehrt worden war ... Er schüttelte den Kopf. Er wußte nicht mehr, was richtig oder falsch war.
    »Chi lo sa?« fragte er sein Spiegelbild. Wer wußte das schon?
    Er war einzig und allein nur deshalb noch am Leben, weil er unter Mario Papale gearbeitet hatte.
    »Du mußt Vertrauen zur Familie haben«, hatte Mario ihm irgendwann einmal gesagt, »aber an erster Stelle mußt du dich auf dich selbst verlassen, capito? Nimm etwas von dem Geld, das du verdienst, aber wirklich nur jedesmal einen kleinen Teil, und investiere es in einen sicheren Ort, den nur du kennst und wo dich keiner erreichen kann - nicht ich, nicht dein Onkel, nicht einmal dein padrone . Du hast verstanden, wovon ich rede?
    Vielleicht - und ich bete zu Gott, daß es bei dir so läuft, Tony - wirst du diesen Platz nie brauchen. Du kannst dann dort Urlaub machen, wenn du willst. Es könnte aber auch sein, daß dieser Ort das einzige ist, was dich von deinem Tod trennt, Tony. Also verhalte dich dementsprechend. Versteck deinen Arsch, wenn du dorthin- oder von dort weggehst. Laß den Platz unter einem Namen registrieren, den du niemals bei einem Deal benutzen darfst. Bunkere einige Artillerie und sorg dafür, daß du dort immer genügend Bares zur Verfügung hast. Dann besitzt du etwas, das die anderen soldati nicht haben, Tony - Sicherheit. Die Soldaten, die keinen solchen Ort haben, müssen stets auf der Hut sein und ganz vorsichtig auftreten. Du aber kannst dann ganz beruhigt sein und brauchst nicht Leuten den Arsch zu küssen, die du nicht magst. Auf diese Weise erwirbst du dir Respekt, Tony. Wenn du nicht überheblich mit den capi umspringst und nicht ständig im Wettstreit mit den anderen soldati stehst, bist du immer was Besonderes. Capito? «
    »Klar«, bestätigte Valenti der Erinnerung. »Jetzt begreife ich alles nur zu gut.«
    Er drehte sich um, zog sich an und ging nach unten, um sich das Abendessen zuzubereiten. Danach setzte er sich mit einem starken Cappuccino nach draußen und sah zu, wie die Sonne unterging. Lange Zeit blieb er im Dunkeln sitzen und hing seinen Erinnerungen nach.
    Er war jetzt achtunddreißig und - so wie sich die Dinge entwickelt hatten - froh darüber, daß er nie geheiratet hatte. Trotzdem wurde es Zeit, daß er das Leben etwas lockerer anging. Er würde nichts Dummes tun, doch er fühlte sich einsam. Wenn das Kind in den nächsten Tagen wiederkäme, erführe er, ob sein Angebot zum Spaghetti-Essen von ihm und seiner Mom angenommen worden war. Teufel, vielleicht rief er sie sogar einfach mal an.
    Er fragte sich, wie die Mutter sein mochte, schüttelte dann aber den Kopf über sich selbst. Das brauchst du nicht, redete er sich ein. Sei ein wenig freundlich, okay. Aber er hatte es nicht nötig, sein Leben zu komplizieren, indem er Nachbarn zu etwas drängte, das die vielleicht gar nicht wollten. Außerdem konnte er sich, wenn die Dinge schiefgingen, nicht so einfach davonmachen. Und die Dinge gingen grundsätzlich schief - das wußte er aufgrund der vielen kurzen Affären, die er gehabt

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