Grünmantel
gegen ein paar Bosse einsetzen. Wer das glaubte, kannte Tony Valenti nicht. Er führte keinen Kampf gegen die fratellanza . Er wollte nur den Kerl, der ihm das alles eingebrockt hatte, und wenn er dieses pezzo di merde in die Finger bekam ...
Valenti seufzte und öffnete die geballten Fäuste. Er arbeitete hart daran, das alles zu vergessen, und machte dabei gute Fortschritte. Wozu sollten diese Erinnerungen auch gut sein? Er konnte ohnehin nichts mehr daran ändern. Doch wenn er zu vergessen versuchte, fühlte er, wie er sich innerlich verwandelte, fühlte seine Härte schwinden, fühlte, wie er weich wurde - und er wollte niemanden sagen hören, daß Tony Valenti ein Weichei geworden sei. Wenn er darüber nachdachte, was man ihm alles genommen hatte - dann war seine Härte das einzige, was ihm noch geblieben war, was ihn noch aufrecht hielt. Doch in letzter Zeit verwirrte ihn das alles. Klar, die fratellanza bot irgendwelchen Leuten ihre Dienstleistungen an und verhalf ihnen zu ihren Absichten. Doch je länger Valenti dem Einfluß der Familie entzogen war, um so weniger normal und alltäglich kam ihm die Art dieser Dienstleistungen vor.
Die Bruderschaft war ein System von sistemazione und verlieh dem Chaos eine gewisse Ordnung. Sie hatte ihren Ursprung in den compagnie d’armi des westlichen Sizilien im 11. Jahrhundert - kleine Privatarmeen der Großgrundbesitzer, um ihre Familien und Ländereien vor marodierenden Banditen zu schützen, die darin nach und nach zu den cosche wurden, die heute noch die Gegend beherrschen. Die ursprünglichen ›Ehrenwerten Männer‹ waren eine bäuerliche Grob-Version des mittelalterlichen Rittertums gewesen; die gegenwärtige sizilianische cosca - ein Familienverbund - führte ihren Namen auf eine Verstümmelung des Wortes Artischocke zurück: eine Komposition von einzelnen Blättern, die eine solide Einheit bildeten. Die Ähnlichkeiten zwischen ihr und ihren Vorläufern waren heute nur noch oberflächlicher Natur, während die Unterschiede zwischen den modernen cosche und ihren nordamerikanischen Gegenstücken immens groß waren.
Es war eine Erfindung der Medien, daß die Gangsterfamilien von Nordamerika überseeische Ableger der sizilianischen Mafia seien, daß sie von einem capo di tutti capi , von einem Boss der Bosse, dirigiert würden, der sein Imperium von der Insel aus lenkte. Nahm man hier einmal die fratellanza als Beispiel, so hätte ihre Betätigung auf internationaler Ebene lediglich eine stärkere Disziplinierung und Zentralisierung zur Folge, wodurch es den polizeilichen Institutionen wesentlich erleichtert würde, solche Organisationen aufzuspüren, zu unterwandern und zu zerstören. Der wahre Grund, daß man die Bruderschaft nicht wirkungsvoller bekämpfen konnte, war die Tatsache, daß sie vieles zur gleichen Zeit war - ein vielköpfiges Ungeheuer, das sogar eine Zeitlang völlig ohne Kopf überleben konnte.
Die Bruderschaft in Nordamerika ließ sich in Wirklichkeit auf einige wenige sizilianische Einwanderer zurückführen, die schon in ihrer Heimat Schmalspur-Mafiosi gewesen waren. Sie brachten diese einzigartige Fähigkeit der cosche mit, sich möglichst unauffällig inner- und außerhalb der geschriebenen Gesetze zu bewegen, sich sofort auf jede Situation einzustellen, bis in die letzte Konsequenz Lösungen zu finden, im Handumdrehen die relative Stärke der einzelnen Beteiligten abzuschätzen, die komplexesten Intrigen anzuzetteln und selbst ihre kleinsten Unternehmungen kalt und mitleidlos zu kontrollieren, wobei sie sich - manchmal sogar zum gleichen Zeitpunkt - großzügig gestatteten, alle diese Kontrollen außer acht zu lassen, wenn sie sich das leisten konnten, ohne ein Risiko einzugehen.
Nur wenige Nachfahren dieser ursprünglichen Einwanderer überlebten in der amerikanischen fratellanza , aber es gab ein paar, wie beispielsweise die Magaddino-Familie, der Valenti angehört hatte. Don Magaddino war nur darauf bedacht gewesen, seine Familie, seinen Besitz und seine Geschäfte zu schützen, und hatte damit durchaus Erfolg gehabt, ohne sich dabei an Prostitution oder Drogengeschäften die Hände schmutzig machen zu müssen.
Von der Wiege an war Valenti eingebleut worden, daß er seiner Familie immer zu helfen habe, zunächst - nachdem sein Vater gestorben war - von seinem Onkel, später dann von Mario, der bei Tonys Aufnahme in die Familie Pate gestanden hatte. Man hatte ihm beigebracht, Freunden der Familie beizustehen und die potentiellen Feinde
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