Grünmantel
von wegen Synchronismus und so.«
»Hast du auch die Musik gehört?«
»Musik? Welche Musik?«
»So ähnlich wie die auf deiner Georges Zamphir-Schallplatte - du weißt, die Pan-Flöten. Nur ohne Orchester und nicht so weich. Eher ... ursprünglicher.«
»Ursprünglicher?« Frankie zog die Brauen hoch.
Ali lachte. »Nein, wirklich. Ich hörte sie oben in meinem Zimmer und bin auf den Hof gegangen, um festzustellen, woher sie kam. Doch da stand plötzlich dieser Hirsch, und ich habe nicht mehr an die Musik gedacht. Aber das war schon eine Sache.«
»Also, ich habe geschlafen.« Frankie drückte ihre Tochter an sich. »Und wenn ich dabei wirklich Musik gehört haben sollte, dann kann es nur die Filmmusik zu Der Exorzist oder so was gewesen sein, denn ich hatte ziemlich viel Angst.«
»Ich auch. Er war so riesengroß.«
»Wem sagst du das?« Sie sahen sich an und lachten. »Wenn einer uns zuhören würde«, meinte Frankie schließlich, »würde jeder denken, wir hätten deinen Hirsch tatsächlich gesehen. Ich mache mir jetzt einen Tee. Willst du auch eine Tasse?«
Ali nickte und folgte ihrer Mutter in die Küche, doch etwas ließ ihr keine Ruhe. Sie dachte daran, wie schnell das große Tier ... einfach so verschwunden war. Sie hatte doch ihren Kopf kaum länger als ein paar Augenblicke weggedreht, und als sie wieder hinsah ... war es einfach weg.
Schreie oder nicht - Valenti beschloß, die Sache für den Moment auf sich beruhen zu lassen. Er beobachtete noch eine Weile das Haus und sah, wie Ali und ihre Mutter die Küche betraten, als wäre nichts geschehen. Da er Alis Mutter nicht kannte und bestimmt keine Lust hatte, ihr zu erklären, warum er sich so spät am Abend noch auf ihrem Hinterhof herumtrieb, entschloß er sich, nach Hause zu gehen.
Außerdem schwirrte ihm zu vieles im Kopf herum. Er mußte erst einmal sortieren, was wirklich und was unwirklich war, ehe er mit jemandem darüber sprach. Nach allem, was ihm heute widerfahren war, hatte er sich vielleicht nur eingebildet, Ali auf dem Hof gesehen zu haben.
Er sah sich noch ein letztes Mal um und ging dann durch den Wald auf sein Haus zu. Der Wind, der vor Erscheinen des Hirsches plötzlich aufgekommen war, war wieder eingeschlafen, und auch die Moskitos schwirrten wieder umher.
Keine Frage, das ist ein höllisch merkwürdiger Abend gewesen, dachte Valenti.
KAPITEL SIEBEN
Die Klänge aus Tommys Flöte waren, hatte man ihnen einmal gelauscht, nicht leicht zu vergessen - selbst nicht von einem Mann mit solch begrenztem Vorstellungsvermögen wie Lance Maxwell. Zwar hatte er sie nie mehr so deutlich gehört wie bei seiner Reifenpanne an jenem Februartag, doch die Erinnerung an diese vagen Melodien, die in seinem Kopf herumschwebten wie Pollen im Wind, beschäftigte ihn den ganzen Frühling hindurch.
Während die Musik in Tony Valenti eine unbewußte Sehnsucht erweckte - ein drängendes Verlangen, dem Mysterium, das er zwischen den Tönen erahnte, auf den Grund zu gehen -, machte sie Lance einfach nur geil. Im Ehebett suchte er Erleichterung und entwickelte dabei eine Leidenschaft wie schon seit Jahren nicht mehr.
»Ich weiß nicht, was plötzlich in ihn gefahren ist«, verriet Brenda eines Tages einer Nachbarin, »aber ich werde mich wohl kaum deswegen beklagen. Ist ja auch schön zu wissen, daß ich offenbar immer noch das gewisse Etwas habe.«
Sicher wäre sie weniger erfreut und bereit gewesen, die Verwandlung ihres Mannes gutzuheißen, hätte sie geahnt, was in Lances Kopf vorging, wenn sie sich liebten. Er bestieg sie jetzt am liebsten von hinten und rammelte wie ein Ziegenbock - oder wie Dooker, wenn er die Hündin von Sneddens besprang. Das da unter ihm war keine Frau, sondern eine Ricke, und er war der Hirsch; eine Geiß, und er war der Bock; eine Hündin, und er war der Rüde. Hinterher, wenn er völlig ausgepumpt auf dem Rücken lag und zur abblätternden Decke hinaufstarrte, nachdem er seinen Samen verspritzt hatte, war sein Schwanz immer noch steif, und die Erleichterung, nach der er verlangte, war ihm von den Klängen einer Musik gestohlen worden, an die er sich bewußt nicht einmal mehr erinnerte.
Eine Woche, nachdem er einen Schwächeanfall erlitten hatte, den er selbst für einen Herzinfarkt hielt, suchte er seinen Arzt auf. Dr. Bolton verordnete ihm Diät und ermahnte ihn, etwas langsamer zu treten, zumal er nicht jünger wurde. »Laß die Zigarren sein, Lance«, fügte er hinzu, »wenn du schon nicht an ’nem Herzinfarkt
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