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Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
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Autobahn. Aus dem dichten Bodennebel raste ein Pick-up auf ihn zu. Auf die Motorhaube war ein Geweih montiert, und die Scheinwerfer glühten wie die Augen eines riesigen Monsters.
    Howie rannte auf die Bäume zu, doch der Pick-up verfolgte ihn. Als er keuchend den Waldrand erreichte und einen Blick zurückwarf, war der Wagen verschwunden. Der Hirsch hatte seinen Platz eingenommen und senkte jetzt wieder das Geweih, um erneut auf ihn loszustürmen. In diesem Moment erwachte Howie.
    Er konnte sich jetzt wieder an alles erinnern - an den Traum und an die Ereignisse am Abend zuvor. Seine Verwirrung und Desorientierung schwanden. Er setzte sich auf und betastete vorsichtig den Verband um die Schulter, die höllisch schmerzte. Das würde er diesem Spaghetti heimzahlen, der ihn angeschossen hatte, verdammt! Howie schob die Füße aus dem Bett und wollte gerade aufstehen, als sich die Tür zu dem Zimmer öffnete und die Brünette eintrat, die ihn am Abend zuvor verarztet hatte.
    »Aber, aber!« Sie hob mahnend den Zeigefinger. »Dr. Mallon hatte doch strenge Bettruhe angeordnet, mein Freund!«
    »Doktor ...?«
    Sherry grinste. »Das bin ich, du Dummkopf. Ich bin Sherry Mallon, erinnerst du dich?«
    Howie nickte. »Ach ja, die Schwester. Klar erinnere ich mich - ich kannte nur deinen Namen nicht.«
    Lisa, die Blonde, trat ein und lehnte sich gegen den Türrahmen. Beide Frauen trugen diesmal enganliegende Jeans - Sherry mit einem Sweatshirt, und Lisa mit einer spitzenbesetzten weißen Bluse.
    »Wie geht’s dir im Moment?« fragte Sherry.
    »Fühl mich ’n bißchen duselig und schlapp. Außerdem hatte ich ’n paar komische Träume.«
    »Das war zu erwarten. Ich bin heute morgen zum Drugstore gefahren, um ein Antibiotikum zu kaufen, das ich dir dann verabreicht habe.«
    »Wie ... wie spät ist es?«
    »Ungefähr halb zwölf«, antwortete Lisa von der Tür her.
    »Wo ist Earl?«
    »Er ist nach Ottawa gefahren. Mußte dort jemanden treffen, wie er sagte.« Lisa kam herüber und setzte sich auf die Bettkante. »Und die anderen sind zur Arbeit - außer uns beiden.«
    »Ihr arbeitet nicht?«
    Lisa lächelte. »Ich wünschte, ich könnte. Nein, ich bin auf Urlaub. Wirst wahrscheinlich denken, wir hätten ’ne gute Zeit hier. Aber ich mußte meinen Urlaub nehmen, oder die Tage wären mir verlorengegangen. Und Sherry hat ’nen freien Tag.«
    »Willst du was essen?« fragte Sherry.
    »Kann ich zum Essen aufstehen?«
    »Solange du dich dabei nicht überanstrengst.«
    Howie schüttelte den Kopf. »Ich könnte nichts Anstrengendes machen, - selbst wenn mein Leben davon abhinge.«

    »Was hat Earl gesagt, wann er wieder zurück ist?« fragte Howie nach dem Frühstück mit Eiern und Speck.
    »Er hat nichts gesagt«, antwortete Lisa, die an der Spüle stand.
    Howie dachte darüber nach. Hoffentlich hatte Earl ihn nicht fallengelassen. »Hört zu«, meinte er schließlich, »ich finde es nett von euch, daß ihr das alles für mich tut.«
    »Würden dasselbe auch für ’nen weißen Mann tun«, brummte Sherry, die ihm gegenüber am Tisch saß und Kreuzworträtsel löste. »Anderes Wort für ›profund‹ - vier Buchstaben?«
    Howie zuckte die Schultern. »Darin war ich noch nie besonders gut.«
    »Weise«, meinte Lisa.
    »Quatsch, das sind doch fünf Buchstaben. Was soll’s - ich schaue nach.« Sie blätterte den Anhang auf und schrieb dann ›tief‹ in die offenen Kästchen.
    »Seid ihr Girls hier aus der Gegend?« fragte Howie.
    »Ich bin in Perth aufgewachsen, und Sherry kommt aus dem Westen.«
    »Wo die Büffel umherstreifen«, ergänzte Sherry grinsend, »und in den großen Ebenen Furcht und Schrecken verbreiten.«
    Doch an Howie war die Pointe verschwendet. »Perth liegt südlich von hier, richtig?«
    »Nur ein paar Meilen die Straße von Lanark hinauf. Warum?« fragte Lisa.
    Howie dachte nach. Er wußte nicht recht, wie er seine Frage in Worte fassen sollte. Er wollte vor den beiden nicht wie ein Narr dastehen, denn es passierte nicht oft, daß er zwei so starke Bräute bei sich sitzen hatte, die zudem noch solche Sprüche klopften. Doch da waren ein paar Sachen, die er wissen mußte.
    »Habt ihr die Karre gesehen, mit der wir gestern gekommen sind?«
    Lisa nickte. »Der Schrotthaufen steht immer noch draußen. Hat euch ’n Mac-Truck geküßt?«
    »Nein, ’n Hirsch.«
    Sherry sah von ihrem Rätselheft auf. »’n Hirsch? Du willst uns wohl verscheißern.«
    »Nein, wirklich. Der größte Bock, den ich je gesehen habe.« Und Howie

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