Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
mit Pelzers Genehmigung ein paar Blumen
aussuchen zu lassen. Der hatte viele Namen dafür. Nicht unsympathisch – nur: ein Zynismus und Nihilismus, der schon ein bißchen
grauslich war. Er wars auch, der den Kremp immer ein bißchen aufzumuntern versuchte, ihm mal ein paar Zigaretten zusteckte
und so und ihm auf die Schulter klopfte und laut den Slogan aussprach, der damals aufkam: ›Genieße den Krieg, Kumpel, der
Friede wird fürchterlich.‹ Der andere, der Kolb, war ein fieser Kerl, ein Tätschler und Taster. Was Pelzer betrifft – modern
ausgedrückt: angesichts der Lage auf dem Beerdigungsmarkt bildete sich natürlich ein Schwarzmarkt für alles, für Kränze, Schleifen,
Blumen, Särge, und für die Bonzen-, Helden- und Bombenopfer-Kränze bekam er natürlich eine Zuteilung. Wer möchte seine teuren
Verstorbenen schon kranzlos beerdigen lassen. Und weil immer mehr Soldaten und auch Zivilisten starben, wurden die Särge schließlich
nicht nur mehrfach verwendet, sondern später nur noch als Attrappe: der respektive Tote fiel, in Segeltuch, später in Sackleinen
eingenäht, dann nur noch eingewickelt, mehr oder weniger nackt, durch eine Klappe in die nackte Erde, man ließ die Attrappe
eine gewisse Anstandsfrist lang stehen, bewarf sie sogar zum Schein mit ein bißchen Erde, aber sobald die trauernden Hinterbliebenen,
die Salutkommandos, Oberbürgermeister und Parteibonzen – nun, sagen wir –, sobald das ›unvermeidliche Trauergefolge‹, so nannte
es Pelzer, sich weit genug entfernt hatte, außer Sichtweite war, wurde die Sargattrappe weggezogen, gesäubert, ein bißchen
aufpoliert und das Grab ganz rasch zugeschaufelt – rasch, sage ich Ihnen, wie bei einem jüdischen Begräbnis. Man hätte sagen
können: der Nächste bitte, wie |240| beim Friseur. Es war naheliegend, daß Pelzer, dem die Leihgebühren für Särge – und der ganze einträgliche Beerdigungsklimbim
– entgingen, auf die Idee kam, daß man ja auch Kränze mehrfach verwenden kann, und diese doppelte, dreifache, ja manchmal
fünffache Verwendung von Kränzen war nicht möglich ohne Bestechung und Zusammenarbeit mit den Friedhofswärtern. Die Anzahl
der Wiederverwendungen war natürlich abhängig von der Stabilität des Materials für den Kranzkörper und dem verwendeten Bindegrün
– außerdem eine Gelegenheit, genauestens die Arbeitsweise und Pfuscharbeit der Konkurrenz zu besichtigen. Das erforderte natürlich
Organisation, Komplicenschaft – und eine gewisse Geheimhaltung –, das konnte er nur selbst mit Grundtsch, mit der Leni, mit
mir und der Kremer machen –, und ich gebe es zu: wir haben mitgemacht. Es kamen da manchmal Kränze aus ländlichen Gärtnereien
zum Vorschein von wahrer Vorkriegsqualität. Damit die anderen nichts merkten, wurde das ganze ›Aufarbeitungskommando‹ genannt.
Das ging schließlich bis zu den Schleifen. Letzten Endes achtete Pelzer drauf und manipulierte die Kundschaft schon bei der
Bestellung so, daß die Aufschriften immer weniger individuell wurden, womit die Chancen der Wiederverwendung von Schleifen
stieg. Aufschriften wie ›Dein Vati, deine Mutti‹ lassen sich ja im Krieg verhältnismäßig oft verwenden, und selbst eine vergleichsweise
individuelle Aufschrift ›Dein Konrad‹ oder ›Deine Ingrid‹ hat gewisse Chancen, wenn man die Schleife aufbügelt, ein wenig
die Farben und die Beschriftung auffrischt und die Schleife in den Schleifenschrank legt, bis wieder einmal ein Konrad oder
eine Ingrid irgend jemand zu betrauern hat. Pelzers beliebtester Ausspruch zu dieser Zeit wie zu jeder Zeit: Auch Kleinvieh
macht Mist. Schließlich kam Boris auf eine Idee, die sich als ziemlich einträglich erwies, er kam – und das kann er nur auf |241| Grund seiner Kenntnis deutscher Trivialliteratur gewußt haben – auf die Idee, eine uralte Schleifenaufschrift wiedereinzuführen:
›Geliebt, beweint und unvergessen.‹ Nun, das wurde das, was man heute einen Bestseller nennen würde, und: das ließ sich nun
so lange verwenden, bis die Schleife nun tatsächlich nicht mehr aufzufrischen und aufzubügeln war. Sogar extrem individuelle
Aufschriften wie ›Deine Gudula‹ wurden aufbewahrt.«
Dazu die Kremer: »Ja, das stimmt, und da hab ich auch mitgemacht. Wir haben Sonderschicht gemacht, damit es nicht so auffiel.
Er hat immer gesagt, es wäre keine Grabschändung, er bekäme sie von Abfallhaufen. Nun, mir wars egal. Es brachte uns ein
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