Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
(was der Verf. tat!), nun, ich hatte damals regelrecht Wut auf den Boris,
richtig böse war ich, und das gab sich erst, als wir dann nachher alle zusammenhockten |295| und ich ihn kennenlernte – wie klug und zartfühlend der war, aber Ende 44, so um Weihnachten rum oder auch Anfang 45, vielleicht
um Dreikönige, aber bestimmt nicht später, kam die Leni mal wieder mit einem Namen im Kopf nach Hause, wußte allerdings diesmal
wenigstens, daß es ein Schriftsteller war, und ein toter dazu, so daß wir also wenigstens nicht rumtelefonieren mußten. Es
ging wieder um ein Buch, und der Autor hieß Kafka, Franz; das Buch: ›In der Strafkolonie‹. Ich habe später den Boris gefragt,
ob er denn wirklich nicht geahnt hätte, was er anrichtete, als er der Leni Ende 44 (!) einen jüdischen Schriftsteller empfahl,
und er hat gesagt: ›Ich hatte so viel im Kopf, so viel zu bedenken, das hab ich vergessen.‹ Also: die Leni wieder mit ihrem Zettel zur Bibliothek, eine gabs noch, die arbeitete, und zu Lenis Glück
war das eine ziemlich vernünftige ältere Frau, die Lenis Zettel zerriß, Leni sofort beiseite nahm und wörtlich zu ihr sagte,
was auch die Obernonne zu ihr gesagt hatte, als sie so intensiv nach Rahel forschte: ›Kind, sind Sie von allen guten Geistern
verlassen, wer schickt Sie denn mit diesem Bücherwunsch her?‹ Aber ich sage Ihnen, die Leni war mal wieder zäh. Die ältere
Frau da in der Bibliothek hat wohl gleich gemerkt, daß sie keine Provokateurin war, sie also beiseite genommen und ihr ganz,
aber auch ganz genau erklärt, daß dieser Kafka ein Jude war, alle seine Bücher verboten und verbrannt und so weiter, und sicher
ist die Leni wieder mit ihrem umwerfenden ›Na, und?‹ gekommen, und die Frau hat ihr wohl dann, wenn auch spät, aber gründlich
erklärt, was mit den Juden und den Nazis los war, und sie hat ihr – den hatte sie natürlich in der Bibliothek – den ›Stürmer‹
gezeigt und alles erklärt, und Leni war entsetzt, als sie zu mir kam. Sie hatte nun endlich was kapiert. Lockergelassen hat
sie nicht, sie wollte nun mal ihren Kafka haben und ihn lesen, und sie hat ihn bekommen! Sie ist doch tatsächlich nach |296| Bonn gefahren und hat ein paar Professoren aufgesucht, für die ihr Vater mal gearbeitet hatte, von denen sie wußte, daß sie
große Bibliotheken haben, und sie hat doch tatsächlich einen gefunden, der damals schon ein Opa über fünfundsiebzig war und
pensioniert da zwischen seinen Büchern hockte, und wissen Sie, was der gesagt hat, wörtlich: ›Kind, sind Sie denn von allen
guten Geistern verlassen, ausgerechnet Kafka – warum nicht Heine?‹ Der muß dann sehr nett zu ihr gewesen sein, hat sich ihrer
und ihres Vaters erinnert, hatte aber selbst das Buch nicht und mußte wieder zu einem Kollegen gehen und noch zu einem, bis
er einen fand, der ihm und dem er trauen konnte und der außerdem auch das Buch hatte. Das war gar nicht so einfach, hat einen
ganzen Tag gekostet, sage ich Ihnen, sie kam mitten in der Nacht nach Hause und hatte das Buch in ihrer Handtasche, so einfach
war das doch alles nicht, denn sie mußten ja nicht nur einen finden, der dem Professor und dem der Professor trauen konnte,
er mußte ja auch Leni trauen, und er mußte ja das Buch nicht nur haben, es auch herausrücken! Sie haben dann wohl zwei gefunden,
dies hatten, aber der erste wollte es nicht rausrücken. Es war schon Irrsinn, welche Sorgen die und ihr Boris hatten, wo es
doch ums nackte, ums splitternackte Leben ging. Zu allem Unglück tauchte um diese Zeit dann auch noch der mir angetraute Herr
Schlömer auf, in dessen kleiner Villa wir hockten, und bei Schlömer war nichts mehr von Weltmann, nichts mehr von Eleganz
übrig, der war fix und fertig, hatte plötzlich eine Wehrmachtsuniform an, aber keine Papiere und war den Partisanen in Frankreich
durch die Lappen gegangen, die ihn gerade hatten erschießen wollen. Ich weiß nicht, irgendwie hab ich doch an ihm gehangen,
er war immer nett und großzügig zu mir, und auf seine Art hat er mich ja wohl auch gern gehabt oder sogar geliebt. Nun war
er ganz klein, armselig elend und sagte zu mir: ›Margret, ich habe |297| Sachen gemacht, die mir überall, die mir auf jeder Seite den Hals kosten werden: bei den Franzosen, bei den Deutschen, die
pro, und bei den paar Deutschen, die kontra sind, bei den Engländern, den Holländern, den Amerikanern, den Belgiern, und wenn
die Russen mich
Weitere Kostenlose Bücher