Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
wohin mit den Kriegsgefangenen, wohin mit den Soldaten, wohin mit den Sklaven? Natürlich gabs
da erprobte |290| Lösungen: erschießen etc. Doch auch das war nicht immer so einfach, weil auch die Erschießer nicht alle einer Meinung waren
und mancher von ihnen ganz gern ein bißchen das Gegenteil, nämlich Lebensretter, spielen wollte. Aus manchem prinzipiellen
Erschießer wurde ein Nicht-Erschießer, aber wie zum Beispiel sollten sich die potentiell zu Erschießenden, nennen wir sie
die Erschossenwerder, verhalten? Das ist alles gar nicht so einfach. Man denkt sich das so, als ob da plötzlich so etwas wie
Kriegsende gewesen wäre, und da steht irgendwo ein Datum, und damit hat sichs. Wer konnte schon wissen, ob er einem bekehrten
oder unbekehrten Erschießer in die Hände fiel oder gar einem Vertreter jener neu entstehenden Menschengruppe, die man die
Jetzt-erst-recht-Erschießer nennen könnte, manche darunter, die bis dato eher zur Gruppe der Nicht-Erschießer gehört hatten.
Es gab sogar SS-Dienststellen, die sich gegen ihren Erschießungsruf wehrten! Es gab da Korrespondenz zwischen der SS und der
glorreichen Deutschen Wehrmacht, wo man sich die Toten zuschiebt, als wärens angefaulte Kartoffeln! Das »beseitigen« und »erledigen«
wird da ehrenwerten Personen und Institutionen zugemutet, denen – wie ihren Korrespondenzpartnern – daran lag, halbwegs mit
reinen Händen jenen Zustand zu erreichen, der mit Frieden falsch, mit Kriegsende richtig bezeichnet wäre.
Da liest der Verf. zum Beispiel: »Die Kommandanten der Konzentrationslager führen Klage darüber, daß etwa 5 bis 10 % der zur
Exekution bestimmten Sowjetrussen tot oder halbtot in den Lagern ankommen. Es erweckt daher den Eindruck, als würden sich
die Stalags auf diese Weise solcher Gefangener entledigen.
Insbesondere ist festgestellt worden, daß bei Fußmärschen, z. B. vom Bahnhof zum Lager, eine nicht unerhebliche Zahl von Kriegsgefangenen
wegen Erschöpfung |291| tot oder halbtot zusammenbricht und von einem nachfolgenden Wagen aufgelesen werden muß.
Es ist nicht zu verhindern, daß die deutsche Bevölkerung von diesen Vorgängen Notiz nimmt.
Wenn auch derartige Transporte bis zum Konzentrationslager in der Regel von der Wehrmacht durchgeführt werden, so wird die
Bevölkerung doch diesen Sachverhalt auf das Konto der SS buchen.
Um derartige Vorgänge in Zukunft nach Möglichkeit auszuschließen, ordne ich daher mit sofortiger Wirkung an, daß als endgültig
verdächtig ausgesonderte Sowjetrussen, die bereits offensichtlich dem Tode verfallen sind (z. B. Hungertyphus) und daher den
Anstrengungen eines, wenn auch kurzen Fußmarschs nicht mehr gewachsen sind, in Zukunft grundsätzlich vom Transport in die
Konzentrationslager zur Exekution auszuschließen sind. In Vertretung: gez.: Müller.«
Es bleibt dem Leser überlassen, über den Ausdruck »nicht unerheblich« im Zusammenhang mit Todeskandidaten zu meditieren. Das
war also schon im Jahr 1941 ein Problem, wo das Deutsche Reich noch groß genug war. Vier Jahre später war das Deutsche Reich
verflucht kleiner geworden, und es waren nicht nur Sowjetrussen, Juden u. ä. zu beseitigen und zu erledigen, auch eine ganz
stattliche Zahl Deutscher, Deserteure, Saboteure, Kollaborateure, und es mußten Konzentrationslager und Städte geräumt werden,
von Frauen, Kindern, alten Leuten, da man ja doch dem resp. Feind nur Trümmer überlassen wollte.
Natürlich entstanden auch sittliche bzw. Hygieneprobleme. Zum Beispiel folgende:
»Die vielfach bestechlichen Starosten bzw. Dorfältesten ließen bzw. lassen die von ihnen bestimmten Facharbeiter nicht selten
nachts aus den Betten holen und bis zum Abtransport |292| in Kellern einsperren. Da den Arbeitern bzw. Arbeiterinnen oft keine Zeit zum Gepäckpacken etc. gelassen wird, kommen viele
Facharbeiter mit völlig ungenügender Ausrüstung (ohne Schuhe, zwei Kleider, Eß und Trinkgeschirr, Decke etc.) im Facharbeitersammellager
an. In besonders krassen Fällen müssen zur Nachholung des Notwendigsten daher eben Angekommene sofort wieder zurückgeschickt
werden. Bedrohungen und Schlagen der Facharbeiter durch die obigen Dorfmilizen, wenn die Leute nicht sofort mitgehen, ist
an der Tagesordnung und wird von den meisten Gemeinden gemeldet. In mehreren Fällen wurden Frauen bis zur Marschunfähigkeit
geprügelt. Einen besonders schlimmen Fall habe ich dem Kommandeur der Ordnungspolizei
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