Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
mürrisch, verdrossen, und bedenkt man, daß
Leni die gediegenen und teuren Kleidungsstücke ihres Vaters ja mit erheblichem Gewinn auf dem Schwarzmarkt hätte verscheuern
können, sie aber statt dessen nicht nur dem, sondern den frierenden und darbenden Angehörigen einer für feindlich erklärten
Macht schenkte (ein Kommissar der Roten Armee lief in der Kaschmirweste ihres Vaters umher!) – so muß als zweites Adjektiv
für Leni das Wort »generös« auch vom mißtrauischsten Beobachter der Szene gebilligt werden.
Ein oder zwei Worte auch noch zu Margret. Es wäre irrig, sie als Hure zu bezeichnen. Für Geld hatte sie sich nur verheiratet.
Seit 42 in einem riesigen Reservelazarett dienstverpflichtet, hatte sie einen weit schwereren Tag und schwerere Nächte als
Leni, die da unangefochten ihre Kränze wand, ständig in Gesellschaft ihres Allerliebsten, von Pelzers Wohlwollen geschützt.
So gesehen, ist Leni keineswegs die oder auch nur eine Heldin, sie hat erst mit |288| achtundvierzig zum erstenmal einem Mann Barmherzigkeit erwiesen (jenem Türken namens Mehmet, an den der geneigte Leser sich
möglicherweise noch erinnert); Margret hat nie etwas anderes getan, auch in ihrer Tätigkeit als Tag- oder Nachtschwester im
Lazarett gewährte sie »jedem, der nett aussah und traurig dreinblickte, volle Barmherzigkeit« – und mit einem frechen Zyniker
wie dem Landesschützen Boldig trieb sie es nur, um Lenis Liebesglück auf einem Heidekrautlager in der Friedhofskapelle der
Beauchamps zu decken, Boldigs Aufmerksamkeit von Leni abzulenken. Wir wollen hier einigermaßen Gerechtigkeit walten lassen
und feststellen, was Margret selbst nach einem langen Leben voller barmherziger Hingabe feststellt: »Geliebt worden bin ich
viel, geliebt habe ich nur einen. Ich habe selbst nur einmal diese verrückte Freude verspürt, die ich auf den Gesichtern der
anderen so oft sah.« Nein, Margret ist keinesfalls unter die Günstlinge des Schicksals einzureihen, sie hat viel mehr Pech
gehabt als Leni – ebenso wie die bittere Lotte, und doch konnte bei keiner der beiden Frauen Neid auf Leni festgestellt werden.
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Der Verf., jetzt inzwischen ganz und gar in der Rolle des Rechercheurs (und immer in Gefahr, für einen Spitzel gehalten zu
werden, wo er doch nur, nur das einzig und allein, im Sinn hat, eine schweigsame und verschwiegene, stolze, reulose Person
wie Leni Gruyten-Pfeiffer ins rechte Licht zu rücken – diese so statische wie statuarische Person!), hatte einige Mühe, von
allen Beteiligten ihre Situation bei Kriegsende einigermaßen sachlich zu erfahren, zu erforschen.
|289| Nur in einem Punkt waren sich offenbar alle der hier mehr oder weniger ausführlich Vorgestellten und Zitierten einig: sie
wollten die Stadt nicht verlassen; sogar die beiden Sowjetmenschen Bogakov und Boris hatten nicht den Wunsch, sich ostwärts
zu begeben. Da nun einmal die Amerikaner (Leni zu Margret: »Endlich, endlich, wie lange haben die denn nur gebraucht.«) sich
näherten, garantierten sie als einzige, was alle ersehnten, obwohl sie es nicht glauben konnten: das Kriegsende. Ein Problem ist ab 1. 1. 45 gelöst: Boris’ und Lenis – nennen wirs der Einfachheit halber so – »Einkehrtage«. Leni war im siebten
Monat schwanger, noch recht »kregel« (M. v. D.) und doch ihrem Zustand gemäß behindert, aber – »Einkehr«, »Beiwohnen«, »Ringkämpfe«,
für welchen Ausdruck immer man sich entschließen mag, »kam einfach nicht mehr in Frage« (Leni nach Margret).
Aber wo und wie überleben? Das sagt sich so leicht, wenn man nicht bedenkt, wer sich alles vor wem verstecken mußte. Margret
z. B. hätte – sie unterstand Befehlen und Verordnungen wie ein Soldat – mit dem Lazarett den Rhein in östlicher Richtung überqueren
sollen. Sie tats nicht, konnte aber auch nicht in ihre Wohnung fliehen, wo man sie mit Gewalt herausgeholt hätte.
Lotte H. war in einer ähnlichen Lage, sie war Angestellte einer Behörde, die sich ebenfalls ostwärts verlagerte. Wohin mit
ihr? Bedenkt man, daß noch im Januar 45 Leute fast nach Schlesien evakuiert wurden, wo man sie direkt der Roten Armee entgegentransportierte,
so muß hier ein kurzer geographischer Hinweis hingenommen werden: das einige Male zitierte Deutsche Reich war Mitte März noch
ungefähr 800–900 Kilometer breit und nicht sehr viel länger. Die Frage des Wohin war für die unterschiedlichsten Gruppen höchst
aktuell. Wohin mit den Nazis,
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