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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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durch eine sofortige,
     überhöhte |416| Barzahlung zu ersetzen, wurde durch einen Blick von Kurt sozusagen im Keim erstickt; immerhin hatte Werner schon den allerseits
     bekannten Griff zur Brieftasche getan, zog dann aber erstaunt seine Hand wieder zurück. Es fielen nun Worte wie: »Selbstverständlich
     ersetzen wir den Neuwert, wozu wir nicht verpflichtet sind.« Es fielen Worte wie »Schmerzensgeld«, »Schockzulage«, es wurden
     Versicherungsfirmen genannt, Policen mit ihren Nummern angegeben, schließlich wurde die ominöse Trude zitiert, die den Verf.
     um seine Visitenkarte bat, und als sich herausstellte, daß er keine besaß, mit schon deutlich angewiderter Miene seine Adresse
     auf ihrem Stenoblock notierte, mit einem Gesichtsausdruck, als zwinge man sie, sich mit einer besonders abscheulich stinkenden
     Art von Kot zu befassen.
     
    Hier möchte der Verf. nun auch einmal etwas über sich sagen dürfen: an einer neuwertigen, selbst an einer doppelt neuwertigen
     Jacke lag ihm nichts, er wollte seine alte Jacke wiederhaben, und mag das auch fast weinerlich klingen, er hing wirklich daran,
     und er bestand auf Restitution seines Kleidungsstückes; als die beiden Hoysers nun anfingen, ihm das auszureden, indem sie
     auf den Niedergang des Schneidergewerbes verwiesen, verwies er auf eine Kunststopferin, die sich schon mehrmals mit Erfolg
     seiner Jacke angenommen habe. Man kennt die Leute, die, obwohl niemand ihnen je das Reden verbietet oder verbieten würde,
     plötzlich sagen: »Ich möchte auch einmal etwas sagen« oder »Darf ich auch einmal etwas sagen«– in einer ähnlichen Lage befand
     sich der Verf., der in diesem Stadium der Verhandlungen nur mühsam seine Objektivität wahren konnte; er verkniff sich einen
     Hinweis auf das Alter seiner Jacke, die Reisen, die er mit ihr gemacht, die vielen Zettel, die er in ihre Taschen hineingesteckt
     und wieder herausgenommen hatte, das Kleingeld |417| im Futter, die Brotkrümel, die Flusen, und sollte er tatsächlich darauf hinweisen, daß Klementinas Wange noch vor knapp achtundvierzig
     Stunden, wenn auch kurz, auf seinem rechten Revers gelegen hatte? Sollte er sich in den Verdacht der Sentimentalität bringen,
     wo es ihm doch nur um ein so konkret abendländisches Anliegen ging, wie Vergil es mit lacrimae rerum ausdrückte?
    Die Stimmung war längst nicht mehr so harmonisch, wie sie gewesen war und hätte sein können, hätten die beiden Hoysers eine
     Andeutung von Verständnis dafür gezeigt, daß jemandem eine alte Sache lieber ist als eine neue und daß nicht alles in dieser
     Welt vom versicherungstechnischen Standpunkt aus betrachtet werden kann. »Wenn«, sagte Werner Hoyser schließlich, »Ihnen jemand
     in Ihren alten VW reinfährt und bietet Ihnen dann, obwohl er nur verpflichtet ist, Ihnen den Listenpreis zu ersetzen, einen
     neuen VW, und Sie nehmen ihn nicht, so kann ich das nur als anormal bezeichnen.« Schon die Andeutung, der Verf. führe einen
     ollen VW, war eine, wenn auch unbewußte, Beleidigung, eine Anspielung auf Einkommensverhältnisse und Geschmack, die zwar nicht
     objektiv, wohl aber subjektiv den Charakter einer Demütigung hatte. Wird man es sehr übelnehmen, wenn er – der Verf. – aus
     seiner Objektivität heraustrat und in scharfen Worten ausdrückte, er schisse auf alte wie neue VWs – er wolle lediglich die
     von einem greisenhaften Lüstling zerstörte Jacke restituiert haben. Ein solches Gespräch konnte natürlich zu nichts führen.
     Wie kann man jemand erklären, daß man an einer alten Jacke einfach hängt und daß man sie – was verlangt wurde, um ihre tatsächliche
     Schädigung festzustellen – nicht ausziehen kann, weil man, verflucht noch mal, so ist es doch nun einmal im Leben – ein Loch
     im Hemd hat, genauer gesagt, einen Riß, den ein römischer Junge im Omnibus mit einem Angelhaken verursacht hatte; weil das
     Hemd außerdem nicht mehr ganz |418| sauber ist, verflucht, weil man im Dienst der Wahrheit permanent unterwegs ist, permanent mit Bleistiften und Kugelschreibern
     Notizen macht und todmüde, ohne das Hemd auszuziehen, abends ins Bett sackt? Ist Restitution nicht ein leicht zu verstehendes
     Wort? Es mag ja sein, daß Leute, nach denen Stadtteile, die sie auf eigenem Grund und Boden erstellen, benannt werden, in
     eine fast schon metaphysische Gereiztheit verfallen, wenn sie feststellen müssen, daß es offenbar Dinge gibt, sogar Jacken,
     die dem Besitzer nicht mit Geld ersetzt werden

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