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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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so dramatischen
     Umständen geborene Säugling gewesen sein, der auf heftigen Wunsch seiner Mutter nicht getauft wurde; geboren in jenem Zimmer,
     wo jetzt eine fünfköpfige portugiesische Familie schlief, und sollte er tatsächlich gemeinsam mit dem weitaus härter wirkenden,
     nun fünfunddreißigjährigen Werner im Sowjetparadies in den Grüften dem heute noch darüber verbitterten Pelzer dessen eigene
     Kippen, mit frischem Zigarettenpapier umhüllt, als Aktive angedreht haben?
    Es entstand für einige Augenblicke Verlegenheit, da man offenbar den Verf. für eine Art Parlamentär hielt, und es bedurfte
     einiger unerläßlicher Erklärungen von seiten des Verf., um klarzumachen, weswegen er gekommen war. Um sich zu informieren , sich sachlich zu informieren. Es ginge – so der Verf. in seinem kurzgefaßten Exkurs – hier nicht um Sympathien, Tendenzen, Angebote, Gegenangebote.
     Lediglich die Sachlage sei hier interessant, keinerlei Ideologie, keinerlei Anwaltschaft; er – der Verf. – sei zu nichts bevollmächtigt,
     bemühe sich auch nicht um Vollmacht; |412| die »strittige Person« sei ihm bisher nicht ein einziges Mal persönlich gegenübergestellt worden, er habe sie lediglich zwei-,
     dreimal auf der Straße gesehen, noch kein Wort mit ihr gesprochen, sein Anliegen sei, wenn auch möglicherweise bruchstückhaft,
     aber so wenig bruchstückhaft wie möglich, deren Leben zu recherchieren, sein – des Verf. – Auftrag sei weder von irgendeiner
     irdischen, noch einer überirdischen Instanz gegeben, er sei existentiell , und da er auf den Gesichtern aller drei Hoysers, die seinen Ausführungen nur mühsam eine gewisse höfliche Aufmerksamkeit
     gönnten, jetzt erst etwas wie Interesse entdeckte, weil sie, wie deutlich zu spüren war, nun in dem Wort »existentiell« ein
     lediglich materielles Interesse zu wittern schienen, sah er sich gezwungen, alle Aspekte des Existentiellen darzulegen. Dann von Kurt Hoyser gefragt, ob er Idealist sei, verneinte er heftig; gefragt, ob
     er denn Materialist, Realist sei, verneinte er ebenso heftig; unversehens sah er sich einer Art Verhör unterworfen, das der
     alte Hoyser, Kurt und Werner reihum über ihn abhielten, indem sie ihn fragten, ob er Akademiker, Katholik, Protestant, Rheinländer,
     Sozialist, Marxist, liberal, für oder gegen die Sexwelle, Pille, Papst, Barzel, freie Marktwirtschaft, Planwirtschaft sei;
     da er – es war schon eine Art Ortungsroulette, bei dem er ständig den Kopf drehen mußte, um den jeweils Fragenden anzuschauen
     – konstant und überzeugt alle diese Fragen mit Nein beantwortete, goß ihm schließlich eine unversehens aus einer bisher unsichtbaren
     Tür auftauchende Sekretärin Tee ein, schob ihm das Käsegebäck näher, öffnete eine Zigarettenschachtel und öffnete durch Knopfdruck
     eine der bisher makellos und dicht gebliebenen Wände, aus der sie drei Aktenordner herausholte, die sie vor Kurt Hoyser auf
     den Tisch legte; daneben Notizblock, Papier, eine Tabakspfeife, bevor sie – eine neutral-hübsche Person, die den Verf. an
     die sachliche Geschäftigkeit |413| erinnerte, mit der in gewissen Filmen in Bordellen Männer abgefertigt werden –, blond, mittelbusig, wieder durch die Tür verschwand.
     Es war schließlich der alte Hoyser, der als erster das Wort ergriff, indem er leicht mit seinem Krückstock auf das Aktenpaket
     schlug, den Stock drauf liegen ließ, um hin und wieder rhythmische Interpunktion zu liefern. »Damit«, sagte er, und seine
     Stimme war durchaus nicht ohne Wehmut, »damit geht eine Bindung, eine Verbindung, eine Geschichte zu Ende, die mich fünfundsiebzig
     Jahre lang mit den Gruytens eng verbunden gesehen hat. Ich wurde nämlich als Fünfzehnjähriger, wie Ihnen bekannt ist, Pate
     von Hubert Gruyten – und nun zerschneide ich, und mit mir meine Enkel, alle Fäden, zerschneide das Tischtuch.« Es muß hier
     ausnahmsweise gerafft werden, da der alte Hoyser ziemlich weit ausholte – ungefähr bei den Äpfeln anfangend, die er als Sechsjähriger
     – so um 1890 herum – im elterlichen Garten der Gruytens gepflückt habe, zwei Weltkriege ziemlich minuziös schildernd, seine
     demokratische Grundhaltung betonend, Lenis verschiedene (politische, moralische, ökonomische) Fehltritte und Dummheiten schildernd,
     die Lebensläufe fast aller bereits vorgestellten Personen –, es war ein ungefähr eineinhalbstündiges Referat, das den Verf.
     ziemlich ermüdete, da er ja über das meiste, wenn auch

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