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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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stopfen, praktisch, bedenkt man ihre Geschicklichkeit, wenn diese auch durch
     kein Diplom bescheinigt war, kunstzustopfen. Der Verf. verfügte sich in Schirtensteins Badezimmer, dessen üppige Ausmaße,
     dessen Riesenwanne ihn ebenso entzückten wie Schirtensteins Vorrat an wohlriechenden Ingredienzien. Er bekam sogar, da Lotte,
     bevor ers hatte verhindern können, den Riß in seinem Hemd entdeckt hatte, von Schirtenstein ein Hemd geliehen, das trotz einer
     gewissen Differenz in Brust- und Kragenweite durchaus angenehm war. Es besteht jeglicher Grund, Schirtensteins Wohnung als
     ideal zu bezeichnen: Altbau, drei Zimmer hofwärts, in einem ein Flügel und die Bibliothek sowie ein Schreibtisch, im zweiten,
     fast schon riesig zu nennenden Raum (Größe allerdings nur nach Schritten, nicht mit Bandmaß gemessen: sieben mal sechs) standen
     Schirtensteins Bett, ein |435| Kleiderschrank, Kommoden, lagen Aktenordner mit seinen gesammelten Kritiken herum, der dritte Raum war die Küche, nicht allzu
     groß, aber ausreichend, und eben jenes Badezimmer, das verglichen mit jedem Neubaubadezimmer, sowohl was seine Geräumigkeit
     wie seine Ausstattung betraf, verschwenderisch, wenn nicht gar luxuriös wirkte. Die Fenster standen offen, im Hof sah man
     Bäume, mindestens achtzig Jahre alt, eine efeubewachsene Wand, und während der Verf. das Bad ausdehnte, trat plötzlich in
     den Nebenräumen Stille ein, die von einem energischen Schscht, Schscht von Schirtenstein befohlen worden war. Und nun geschah
     etwas, was den Verf. vorübergehend von seinen Gedanken an Klementina ablenkte bzw. diese Gedanken erheblich vertiefte, schmerzlich
     sozusagen. Es geschah etwas Wunderbares: eine Frau sang – es konnte nur Leni sein. Wer sich nie unter der schönen jungen Lilofee
     etwas vorgestellt hat, sollte über die folgenden Zeilen vielleicht besser hinweglesen; wer aber je ein wenig Vorstellungskraft
     in die schöne Lilofee investiert hat, dem sei gesagt: nur so kann sie gesungen haben. Es war eine Mädchenstimme, Frauenstimme,
     und klang doch instrumental, und was sang sie in den stillen Hof hinein, durchs offene Fenster in offene Fenster?
    Einen Umhang hab ich gemacht
    für mein Lied; ihn bestickt
    von oben bis unten
    mit alten Sagen
    Narren nahmen ihn weg
    trugen ihn vor den Augen
    der Welt als hätten
    sie ihn gewirkt.
    Sollen sie ihn tragen.
    Es gehört mehr Mut dazu,
    nackt einherzugehen.
    |436| Existentiell gesehen war die Wirkung dieser Stimme, die diese Worte in den Hof hinaussang, in den sie wahrscheinlich schon
     – ungehört und unerhört – vor mehr als vierzig Jahren hineingesungen hatte, derart, daß der Verf. die T. nur mühsam zurückhalten
     konnte und sie schließlich, weil er sich fragte, warum immer zurückhalten, unaufgehalten strömen ließ. Ja, hier widerfuhr
     ihm ein W., und er spürte doch G., und da er nur sehr schwer literarische Hintergedanken zurückhalten kann, kamen ihm plötzlich
     Zweifel an den Auskünften über Lenis Bücherbestand; hatte man da auch mit der erforderlichen Sorgfalt gesucht, in Truhen,
     Schubladen, Schränken gekramt und vielleicht doch ein paar Bücher aus dem Bestand von Lenis Mutter übersehen, von einem Autor,
     den man vorenthalten hatte, weil man sich geniert hatte, den Namen falsch auszusprechen? Zweifellos waren da in Lenis Beständen
     noch Schätze zu entdecken, Kostbarkeiten vergraben, die ihre Mutter schon 1914 als junges Mädchen, spätestens 1916 gekannt
     hatte.
     
    Während das Finanzkomitee noch keine Klarheit erlangt hatte, war das Komitee für den gesellschaftlichen Ablauf zu der Erkenntnis
     gelangt, daß die brutalen Maßnahmen morgens gegen siebeneinhalb anlaufen, um die gleiche Zeit aber die Büros, in denen man
     möglicherweise diesen Ablauf stoppen könne, erst geöffnet wurden; daß es – Schirtenstein hatte mit verschiedenen An- – sogar
     Staatsanwälten – in dieser Sache vergebliche Telefonate geführt – unmöglich sei, noch während der Nacht Stoppmaßnahmen zu
     erwirken. So ergab sich das Problem des Zeitgewinns, die fast unlösbare Frage: wie konnte man die Zwangsräumung der Wohnung
     bis etwa neuneinhalb Uhr hinauszögern? Pelzer stellte für einige Zeit seine Kenntnisse und Beziehungen der Kommission für
     den gesellschaftlichen Ablauf zur Verfügung, telefonierte mit |437| einigen Spediteuren, Vollzugsbeamten, die er aus seiner Karnevalsgesellschaft »Immerjröne Strüssjer« kannte, und da er auch,
     wie sich jetzt erst

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