Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
herausstellte, Mitglied eines Männer-Gesangvereins war, »in dem es von Juristen und so wimmelt«, fand
er immerhin heraus, daß ein legales Stoppen fast unmöglich war. Erneut am Telefon, stellte er einem Menschen, den er mit Jupp
anredete, die Möglichkeiten einer Autopanne vor Augen, die er – Pelzer – »sich was kosten lassen« wolle, doch schien Jupp,
offenbar der beauftragte Spediteur, nicht anzubeißen, was Pelzer verbittert mit den Worten kommentierte: »Er traut mir immer
noch nicht, glaubt nicht an meine rein menschlichen Motive.« Doch nun, da das Stichwort Autopanne gefallen war, hatte Bogakov
einen fast genialen Einfall. War nicht Lev Fahrer eines Müllautos, und waren nicht der Türke Kaya Tunç und der Portugiese
Pinto ebenfalls Fahrer von Müllautos, und gab es nicht vielleicht unter den Fahrern von Müllautos so etwas wie Solidarität
mit ihrem eingesperrten Kumpel und dessen Mutter? Was – so Pinto, der so bäuerlich wirkte wie Tunç und, da man ihn sowohl
im Finanzkomitee wie im Komitee für den gesellschaftlichen Ablauf nicht zu brauchen schien, in der Küche Pellkartoffeln schälte,
während Tunç die Bedienung des Samowars und die Versorgung mit Tee übernommen hatte –, was – so beide jetzt – konnte bloße
Solidarität da bewirken? Sollten sie etwa – dies nun gekränkt und verächtlich – etwa in bourgeoisen Verbalitäten (sie drückten
es anders aus: »Worte, Worte, nichts als Worte von die Bürger«) Solidarität bekunden, während zehn Menschen, darunter drei
Kinder, legal exmittiert wurden? Doch hier schüttelte Bogakov den Kopf, erwirkte durch eine mühsame, von Schmerzen begleitete
Armbewegung Ruhe und erklärte, er habe seinerzeit in Minsk als Schuljunge gesehen, wie man den Abtransport von Gefangenen
durch reaktionäre Kräfte |438| verhindert habe. Man habe eine halbe Stunde vor dem Abtransport fiktiv Feueralarm gegeben, natürlich dafür gesorgt, daß die
Feuerwehrwagen von zuverlässigen Genossen gefahren wurden, sie dann vor der Schule, in der die Gefangenen eingesperrt waren,
so, daß sogar der Bürgersteig blockiert gewesen sei, zusammengefahren, eine simulierte Karambolage verursachen lassen; damit
sei Zeit gewonnen worden, die Gefangenen – lauter der Desertation und bewaffneten Meuterei angeklagte, höchst gefährdete Soldaten
und Offiziere – durch den Hinterausgang zu befreien. Da Pinto und Tunç, auch Schirtenstein und der herbeigeeilte Scholsdorff
immer noch nicht begriffen, wurde Bogakov deutlich. »Müllwagen«, sagte er, »sind doch ziemlich schwere Dinger, die sowieso
für den Straßenverkehr nicht gerade bekömmlich sind. Überall verursachen sie doch Stauungen; wenn nun zwei Müllwagen oder
besser drei Müllwagen hier auf der Straßenkreuzung zusammenstoßen, ist der ganze Stadtteil für mindestens fünf Stunden unpassierbar,
und dieser Jupp kommt mit seinem Lastwagen nicht einmal auf fünfhundert Meter dem Haus nahe, und da er an das Haus nur heranfahren
kann, wenn er zweimal Einbahnstraßen hineinfährt, wird er, so wie ich die Deutschen kenne, noch lange nicht da sein, wenn
bei den Behörden der Aufschub bewirkt ist. Für den Fall aber, daß er tatsächlich seine Bahnsteigkarte löst, das heißt die
Erlaubnis bekommt, in Erfüllung einer dringenden Pflicht die Einbahnstraße zu benutzen, für diesen Fall müssen an der anderen
Straßenecke auch zwei Müllwagen zusammenfahren.« Schirtenstein gab zu bedenken, daß es, gerade für ausländische Fahrer, nicht
ohne Folgen bleiben würde, wenn sie solches verursachten, es müsse überlegt werden, ob es nicht besser sei, Deutsche dafür
zu gewinnen. Um dies zu bewirken, wurde Salazar mit Fahrgeld ausgerüstet und auf den Weg geschickt, während Bogakov, von Scholsdorff |439| mit einem Bleistift und einem Stück Papier ausgerüstet, eine Karte zeichnete, in die er, darin von Helzen unterstützt, alle
Einbahnstraßen einzeichnete. Man kam zu dem Ergebnis, daß der Zusammenprall von zwei Müllwagen genügen würde, um ein völlig
unübersichtliches Chaos zu schaffen, in dem Jupps Auto etwa einen Kilometer von der Wohnung entfernt hoffnungslos steckenbleiben
würde. Da Helzen einiges über Verkehrsstatistik wußte, auch in seiner Eigenschaft als Angestellter des Straßenbauamts Ausmaß,
Tonnage eines Müllwagens genau kannte, kam er, gemeinsam mit Bogakov an der strategischen Skizze arbeitend, zu dem Schluß,
daß »es fast genügen würde, wenn
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