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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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(Werner Hoyser: Pfeife, Kurt Hoyser: Zigarre, der Verf.: Zigarette) durch und durch konzertierten Raum frische
     Luft zuzuführen; ein Versuch des Verf., den mittleren Teil des geschweiften Fensters, das durch einen gesonderten Messingrahmen
     und einen Fenstergriff als öffnungsfähiger Teil markiert war, nun wirklich zu öffnen, wurde von Kurt Hoyser lächelnd und mit
     sanfter Gewalt verhindert, nicht ohne den Hinweis auf die komplizierte Klimaanlage, die »spontan individuelles Lüften« nur
     beim Aufleuchten eines bestimmten Signals erlaube, das den klimatologischen Haushalt der Gebäude regle; da diese Stunde –
     so Kurt Hoyser mit freundlicher Stimme – gerade um diese Zeit, wenn Büros und Redaktionen schlössen, die kritische Stunde
     sei, müsse man damit rechnen, erst in etwa eineinhalb Stunden durch das Aufleuchten eines im Fenstersturz angebrachten magischen
     Auges Lüfteerlaubnis zu bekommen; gleichzeitig sei die Klimaanlage so überlastet, daß sie es |428| nicht schaffe, von sich aus Frischluft genug einzuführen. »Es ist dies ja eine Wohnungseinheit mit achtundvierzig – zwölf
     mal vier – baulichen Einzeleinheiten, die alle um diese Zeit, wo die Post diktiert, entscheidende Telefonate geführt werden,
     wichtige Besprechungen stattfinden, erheblich überbelastet sind. Rechnen Sie achtundvierzig Einheiten zu vier Räumen, rechnen
     Sie für jeden Raum durchschnittlich zweieinhalb rauchende Personen – im statistischen Durchschnitt eine davon Zigaretten-Kettenraucher,
     eine halbe Pfeifenraucher, etwa eine Dreiviertelperson statistisch Zigarrenraucher –, so befinden sich um diese Zeit durchschnittlich
     vierhundertfünfundsiebzig rauchende Personen in diesem Gebäude – aber ich habe meinen Bruder unterbrochen und mir scheint,
     wir sollten zum Ende kommen, denn gewiß ist auch Ihre Zeit begrenzt.«
    Ja, jetzt wieder Werner Hoyser (sehr gerafft wiedergegeben), es gehe nicht, wie nur oberflächliche Beobachter, womit er den
     Verf. keineswegs meine, annähmen, um Geld. Man habe Tante Leni eine kostenlose Wohnung in bester Lage angeboten, kostenlos,
     man habe sich bereit erklärt, Lev, dessen Entlassung kurz bevorstehe, ein Abendabitur und anschließend ein Studium zu ermöglichen,
     aber das alles sei abgelehnt worden, weil man sich in dieser Gesellschaft von Müllmännern wohlfühle, weil man sich weigere,
     auch nur die minimalste Anpassung zu vollziehen; kein Komfort locke oder verlocke, man hänge an seinem altmodischen Herd,
     an seinen Öfen, an seinen Gewohnheiten – und es sei deutlich, wer hier der reaktionäre Teil sei. Es gehe – und er spreche
     dieses Wort in seiner doppelten Eigenschaft als Christ in christlichem Fahrwasser und als den rechtsstaatlichen Prinzipien
     vertrauter, toleranter Nationalökonom und Jurist –, es gehe um Fortschritt, und »wer fortschreitet, muß über so manchen hinwegschreiten.
     Da gibts kein romantisches ›Wann wir |429| schreiten Seit an Seit‹ mehr, das unsere Mutter uns bis zum Überdruß vorgesungen hat. Wir können auch nicht, wie wir wollen,
     wie Sie sehen, dürfen wir noch nicht einmal in unserem eigenen Haus, wann wir möchten, die Fenster aufmachen.« Natürlich könne
     man Tante Leni in keinem der Hoyserschen Neubauten zweihundertelf Quadratmeter zur Verfügung stellen – das würde einem Mietausfall
     von fast zweitausend Mark entsprechen, und es sei auch nicht möglich, Öfen und »jederzeit aufreißbare« Fenster zu gestatten,
     und es müßten natürlich auch, was ihre Mieter, Untermieter oder Liebhaber beträfe, gewisse »ganz geringfügige gesellschaftliche«
     Einschränkungen gemacht werden. »Aber verdammt noch mal«, und hier wurde Werner Hoyser zum erstenmal, wenn auch nur vorübergehend,
     aggressiv, »so gemütlich wie Tante Leni möchte ich es auch einmal haben.« Aus diesem und anderen Gründen, vor allem um höherer
     Interessen willen, müsse die unbarmherzig erscheinende Maschine nun anlaufen.
    Der Verf. hätte an dieser Stelle so gern ein schlicht-versöhnendes Wort gesagt, er wäre auch bereit gewesen, die relative
     Geringfügigkeit des Jackenärgers angesichts der schwerwiegenden Probleme dieser gequälten Menschen zuzugeben, die nicht einmal
     ihre Fenster in ihrem eigenen Haus aufreißen durften; letzten Endes wars doch nicht so wichtig, wie es ihm anfangs erschienen
     war. Wer ihn abhielt, dies schlichte, wenn nicht versöhnliche, denn es lag ja keine Auseinandersetzung zwischen ihm und den
     beiden

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