Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
und funktionsfähig zu halten, wozu sie Leichtathletik und Gymnastik empfahl, kam sie dann rasch auf ihr Lieblingsthema: daß
es einem gesunden und, wie sie betonte, intelligenten Menschen möglich sei, ohne auch nur einen Fetzen Papier diese Vorrichtung
zu vollziehen. Da aber dieser Idealzustand nie erreicht würde, oder nur selten, erklärte sie detailliert, wie, wenn Papier,
dies angewendet werden müsse.
Sie hatte – und hierbei ist B. H. T. eine unersetzliche Quelle – viel über solche Dinge gelesen, fast alles aus Bagno- und
Gefängnisliteratur, hatte die Memoiren aller Inhaftierten (Krimineller und Politischer) intensiv durchforscht. Auf Albernheiten
und Gekicher der Mädchen während dieses Vortrags war sie gefaßt.
Es muß hier, weil es durch Margret und Leni verbürgt ist, gesagt werden, daß Schwester Rahel beim Anblick des ersten Stuhlgangs
von Leni, den sie zu begutachten hatte, in eine Art Verzückung verfiel. Zu Leni, die an derlei Konfrontation nicht gewöhnt
war, sagte sie: »Mädchen, du bist ein Günstling des Schicksals – wie ich.«
Als Leni dann einige Tage später den Status der »Papierlosen« erreichte, einfach weil ihr diese »Muskelsache« Spaß machte
(Leni zu Marja – bestätigt durch Margret), war eine unverbrüchliche Sympathie geschaffen, die Leni über alle Bildungsrückschläge,
die ihr noch bevorstanden, schon im voraus hinwegtröstete.
|50| Nun wäre es falsch, wenn hier der Eindruck entstünde, Schwester Rahel habe sich ausschließlich in der Exkrementalsphäre als
Genie erwiesen. Sie war nach einem komplizierten Bildungsgang zuerst Biologin, dann Ärztin, noch später Philosophin geworden,
war katholisch geworden, ins Kloster eingetreten, um »die Jugend zu unterweisen« in einer biologisch-medizinisch-philosophisch-theologischen
Kombination, aber schon im ersten Jahr ihrer Lehrtätigkeit war ihr die Unterrichtserlaubnis vom Generalrat in Rom entzogen
worden, weil man sie des Biologismus und des mystischen Materialismus verdächtigte; die Strafe, sie zum Flurdienst zu erniedrigen,
hatte eigentlich dazu dienen sollen, ihr das Ordensleben zu verleiden, und man war bereit gewesen, sie »in Ehren« wieder zu
säkularisieren (alles Rahel an B. H. T., mündlich), doch sie hatte die Erniedrigung als Erhöhung nicht nur angenommen, sondern
auch empfunden und betrachtet und sah im Flurdienst weitaus bessere Möglichkeiten, ihre Lehren zu verwenden als im Unterricht.
Da ihre Schwierigkeiten mit dem Orden genau in das Jahr 1933 fielen, ließ man davon ab, sie regelrecht auszustoßen, und so
blieben ihr noch fünf Jahre als »Toilettenfrau« (Rahel über Rahel an B. H. T.). Schon um Reinigungsmaterial, Klopapier, Antiseptika,
auch Bettwäsche u. ä. zu besorgen, mußte sie hin und wieder mit dem Fahrrad in die nahe gelegene mittlere Universitätsstadt
fahren, verbrachte dort viele Stunden in der Universitätsbibliothek, später viele Tage in jenem gut bestückten Antiquariat,
wo sie eine platonische und doch leidenschaftliche Freundschaft mit diesem B. H. T. schloß; er ließ sie ausgiebig in den Beständen
seines Chefs stöbern, stellte ihr sogar – vorschriftswidrigerweise – einen nur intern gebrauchten Handkatalog zur Verfügung,
ließ sie in den zahlreichen Winkeln lesen, trat ihr sogar von seinem Kaffee aus der Thermosflasche ab, ja, steckte ihr hin
und wieder ein Butterbrot |51| zu, wenn sie sich gar zu lange vertiefte. Ihre Hauptinteressen galten der pharmakologischen, der mystischen, der biologischen
Literatur, auch der Kräuterkunde, und sie entwickelte sich im Laufe von zwei Jahren zur Spezialistin auf einem heiklen Gebiet:
für die skatologischen Auswüchse, soweit sie aus der mystischen Literatur, die im Antiquariat reichlich vertreten war, sich
erarbeiten ließen.
Obwohl alles, aber auch alles getan worden ist, Schwester Rahels Hintergrund und Herkunft zu klären: mehr als B. H. T., Leni
und Margret aussagten, war nicht zu erfahren; ein zweiter und ein dritter Besuch bei Schwester Cecilia brachte nichts über
ihre frühere Mitschwester zutage; die Hartnäckigkeit des Verf. brachte lediglich ein Erröten bei ihr zustande – es wird freimütig
gestanden, daß das Erröten einer über siebzigjährigen Greisin mit Milchtönen in der Haut kein unerfreulicher Anblick ist.
Ein vierter Versuch – der Verf. ist hartnäckig, wie man sieht – scheiterte schon an der Klosterpforte: er wurde nicht mehr
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