Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
Ausblick auf Frieden bot, da zog der Soldat seine Konsequenz und starb den Heldentod.
Doch kannt ich dich besser
als ich je die Menschen gekannt
Ich verstand die Stille des Äthers
des Menschen Worte verstand ich nie ...
Und lieben lernte ich unter den Blumen ...
Der zuletzt zitierte Vers wird ziemlich häufig gesungen, er ist auf dem Tonband in vier verschiedenen Variationen, einmal
sogar im Beatrhythmus, abzuhören.
Wie man sieht, geht Leni ziemlich frei mit ansonsten geheiligten Texten um, beliebig kombiniert sie nicht nur Musik-, auch
Textelemente:
Die Stimme des freigeborenen Rheins – kyrieleis
Und lieben lernt ich unter Blumen – kyrieleis
Brechet das Joch der Tyrannen – kyrieleis
Unkeuschheit und Armut meine Gelübde – kyrieleis
Als Mädchen hatte ich ein Verhältnis mit dem Himmel – kyrieleis
|57| Herrlich, violett liebt er mich mit Männerliebe – kyrieleis
Der Ahnen Marmor ist ergraut – kyrieleis
Bis ausgesprochen ist, wie ich es meine, meiner Seele Geheimnis – kyrieleis ...
Man sieht also, daß Leni nicht nur beschäftigt, daß sie sogar produktiv beschäftigt ist.
Ohne in eine unangebrachte Symbolik zu verfallen, erklärte Rahel Leni, die jedesmal sehr erschrak, wenn es ihr nach Art der
Frauen erging, den Vorgang des Beiwohnens mit allen Details, ohne daß Leni oder sie auch nur andeutungsweise hätten zu erröten
brauchen; allerdings mußten solche Erklärungen geheim bleiben, denn Rahel überschritt natürlich damit ihre Kompetenz. Vielleicht
wird damit erklärt, warum Leni so heftig und zornig errötete, als sie eineinhalb Jahre später anläßlich der offiziellen Aufklärung
auf »Erdbeeren mit Schlagsahne« verwiesen wurde. Rahel scheute sich nicht einmal, auf Formen des Stuhlgangs bezogen, den Begriff
»klassische Architektur« anzuwenden (B. H. T.).
Schon in ihrem ersten Pensionatsmonat fand Leni außerdem eine Freundin fürs Leben, jene Margret Zeist, die schon als »Luder«
avisiert war; schwer zu bändigende Tochter eines extrem frommen Ehepaars, das ebensowenig »mit ihr fertig geworden war« wie
alle ihre bisherigen Lehrer. Margret war ständig gut gelaunt, galt als »lustiges Huhn«, eine dunkelhaarige kleine Person,
die, verglichen mit Leni, geradezu geschwätzig wirkte. Es war Rahel, die nach vierzehn Tagen bei der Besichtigung von Margrets
Haut (Schultern und Oberarme) feststellte, daß jene Umgang mit Männern habe. Da Margret selbst die einzige Zeugin für diese
Vorgänge ist, mag hier eine gewisse Vorsicht am Platze sein; der Verf. selbst hat allerdings den |58| Eindruck von Margrets absoluter Glaubwürdigkeit. Margret meint, Rahel habe das nicht nur mit ihrem »fast todsicheren chemischen
Instinkt« festgestellt, auch aus der physikalischen Beschaffenheit dieser Haut, von der Rahel später im vertrauten Gespräch
mit Margret behauptete, ihre Haut »strahle empfangene Zärtlichkeit aus, auch gegebene«, und daraufhin – das muß zu Margrets
Ehre gesagt werden – errötete diese, nicht zum ersten und noch lange nicht zum letzten Male in ihrem Leben. Sie gestand auch,
daß sie sich nachts auf eine Weise, die sie nicht verraten könne, aus dem Kloster entferne und sich mit Dorfjungen treffe,
nicht mit Männern. Gegen Männer habe sie eine Abneigung, die stänken nämlich, das wisse sie aus Erfahrung mit einem Mann,
eben jenem Lehrer, der behauptet habe, nicht mit ihr fertig zu werden. »Oh«, fügte sie in ihrem trockenen, rheinischen Tonfall
hinzu, »der ist ganz gut mit mir fertig geworden.« Jungen, sagte sie, gleichaltrige, das sei das richtige, Männer stänken
– und – das fügte sie freimütig hinzu – es sei so wunderbar, wie die Jungen sich freuten, manche schrien vor Freude – und
sie dann auch, und es sei ja auch nicht gut, wenn die Jungen »es allein machten«; es mache ihr, Margret, eben Freude, ihnen
Freude zu machen – und hier muß vermerkt werden, daß wir Rahel zum erstenmal in heftige Tränen ausbrechen sehen: »Sie weinte
ganz furchtbar, und ich bekam Angst, und jetzt, wo ich hier so liege, achtundvierzig Jahre alt und mit Syphilis und allem
möglichen anderm, jetzt erst weiß ich, warum sie so schrecklich geweint hat« (Margret im Hospital). Rahel, nachdem ihre Tränen
versiegt waren – was nach Margrets Schilderung eine ganze Weile gedauert haben muß –, sah sie nachdenklich an, gar nicht unfreundlich,
und sagte: »Ja, du bist ein Freudenmädchen.« »Eine Anspielung,
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