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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Jahren
     verliebt gewesen sein. Daß es ihm gelungen ist, sich bis zum Jahre 1944 dem Wehrdienst zu entziehen, so daß er eine Art missing link zwischen Leni und Schwester Rahel darstellt (immerhin war er, als er im fünften Kriegsjahr eingezogen wurde, fast sechsundzwanzig
     und kerngesund, wie er behauptet), spricht für eine hartnäckige und planmäßig arbeitende Intelligenz.
    Jedenfalls wurde er lebhaft, fast begeistert, als er auf Schwester Rahel angesprochen wurde. Er ist Nichtraucher, Junggeselle
     und – nach den Gerüchen in seiner Zweieinhalbzimmer-Bad-Wohnung zu schließen – ein ausgezeichneter Koch. Nur antiquarische
     Bücher sind für |45| ihn Bücher: Neuerscheinungen verachtet er: »Ein neues Buch ist kein Buch« (B. H. T.). Frühzeitig kahl geworden, vermutungsweise
     gut, aber einseitig ernährt, neigt sein Organismus zur Talgbildung: eine grobporige Nase und eine Neigung zu kleinen Geschwulsten
     hinterm Ohr, wie sie bei mehreren Besuchen beobachtet werden konnte, sprechen dafür. Er ist von Natur nicht sehr gesprächig,
     wird aber geradezu mitteilungsbedürftig, wenn es um Rahel-Haruspica geht, und für Leni, die er aus den Erzählungen der Schwester
     nur als dieses »einmalig schöne blonde Mädchen, dem noch vieles Schöne und auch Schmerzliche bevorsteht«, kennt, hegt er eine
     idealistisch-jugendliche Schwärmerei, die den Verf., läge ihm solches und wäre er nicht selbst in Leni verliebt, in Versuchung
     bringen könnte, die beiden heute noch, mit etwa vierunddreißigjähriger Verspätung, zu verkuppeln. Was immer dieser B. H. T.-Bursche
     an merkwürdigen Eigenschaften haben sollte (verborgene und offenkundige), eins ist er gewiß: treu. Möglicherweise auch sich
     selbst.
    Es wäre viel über diesen Burschen zu sagen, das erübrigt sich, da er unmittelbar fast nichts mit Leni zu tun hat, nur als
     Reflektor gewisse Dienste leisten kann.
    Es wäre nämlich irrig anzunehmen, Leni habe in diesem Internat-Pensionat gelitten; nein, es widerfuhr ihr dort Wunderbares,
     es erging ihr, wie es eben Günstlingen des Schicksals ergeht: sie geriet in die richtigen Hände. Was sie im Unterricht erfuhr,
     war mehr oder weniger uninteressant; der Privatunterricht bei der ruhigen und freundlichen Schwester Cecilia war wichtig und
     trug seine Früchte. Entscheidend für Lenis Lebensbahn, mindestens so entscheidend wie der später auftauchende Sowjetmensch,
     wurde Schwester Rahel, die (1936!) nicht zum Unterricht zugelassen war, nur die als sehr niedrig angesehenen Dienste einer,
     wie die Mädchen es nannten, Flurschwester |46| ausübte, sich ungefähr im sozialen Status einer nicht einmal gehobenen Putzfrau befand. Ihr oblag es, die Mädchen rechtzeitig
     zu wecken, ihr morgendliches Reinigungsritual zu überwachen, ihnen – was zu tun die Biologieschwester sich standhaft weigerte
     – zu erklären, was da mit und an ihnen geschah, wenn es ihnen plötzlich nach Art der Frauen erging; außerdem hatte sie eine
     Pflicht, die von allen anderen Schwestern als ekelhaft, als unzumutbar empfunden, von Schwester Rahel aber geradezu mit Begeisterung,
     mit liebevoller Aufmerksamkeit ausgeübt wurde: die Begutachtung der jugendlichen Verdauung in fester wie in flüssiger Form.
     Die Mädchen waren verpflichtet, ihre Verdauungsprodukte nicht ins Unsichtbare hinein abzuziehen, bevor Rahel sie begutachtet
     hatte. Sie tat das bei den vierzehnjährigen Mädchen, die ihrer Obhut unterstanden, mit einer ruhigen diagnostischen Sicherheit,
     die die Mädchen verblüffte. Muß hier darauf hingewiesen werden, daß Leni, deren Interesse für ihre Verdauung bis dato nicht
     befriedigt worden war, eine geradezu begeisterte Adeptin von Rahel wurde? In den meisten Fällen genügte Rahel ein Blick, und
     sie wußte die physische und psychische Kondition der Betroffenen exakt anzugeben, und da sie sogar schulische Leistungen aus
     den Exkrementen voraussagte, wurde sie vor Klassenarbeiten geradezu umlagert und hatte von Jahrgang zu Jahrgang (von 1933
     ab) den Spitznamen Haruspica geerbt, den eine ihrer früheren Schülerinnen, die sich später als Journalistin versuchte, ihr
     angehängt hatte. Es wurde vermutet (eine Vermutung, die Leni, die später die Vertraute von Rahel wurde, bestätigte), daß sie
     Buch führte, mit exakten Details. Ihren Spitznamen nahm sie wie eine Liebkosung, die ihr zustand, hin. Nimmt man zweihundertvierzig
     Schultage als jährlichen Durchschnitt, dazu zwölf Mädchen und fünf Jahre

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