Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
Flurdienst (als eine Art klösterlicher Unteroffizier
vom Dienst), so kann man |47| leicht errechnen, daß Schwester Rahel etwa achtundzwanzigtausendachthundert Verdauungsvorgänge statistisch erfaßt und stichwortartig
analysiert hat; ein erstaunliches Kompendium, das wahrscheinlich als skato- und urinologisches Dokument unbezahlbar wäre.
Vermutlich ist es auf schnöde Weise vernichtet worden! Analysen des Verf., Gebaren, Ausdrücke, Rahel betreffend, aus den unmittelbaren
Berichten von B. H. T., den mittelbaren (durch Marja gefilterten) von Leni, den wiederum unmittelbaren von Margret, erlauben
die Annahme, daß Rahels Bildung aus drei wissenschaftlichen Bereichen stammte: Medizin, Biologie, Philosophie – alles unterlegt
mit einer theologischen Beimischung ausschließlich mystischer Herkunft.
Rahel mischte sich auch in Bereichen ein, für die sie nicht verantwortlich war: Schönheitspflege; Haar, Haut, Augen, Ohren,
Frisuren, Schuhbekleidung, Unterwäsche – bedenkt man, daß sie der schwarzhaarigen Margret zu Flaschengrün, der blonden Leni
zu einem gedämpften Feuerrot riet, ihr anläßlich eines Hausballs mit Insassen eines katholischen Studentenheimes zu zinnoberroten
Schuhen riet; daß sie Leni zur Hautpflege Mandelkleie empfahl, eiskaltes Wasser nicht unbedingt, eben nur bedingt für zuträglich
hielt, so läßt sich ihre Gesamttendenz negativ knapp ausdrücken: der Kernseifentyp war sie nicht. Fügt man außerdem hinzu,
daß sie von Lippenstift nicht nur nicht ab-, sondern – mit Maßen und Geschmack je nach Typ versteht sich – zuriet, so weiß
man, daß sie ihrer Zeit und ganz gewiß ihrem Milieu weit voraus war. Geradezu streng bestand sie auf Haarpflege, kräftigem
ausdauerndem Bürsten des Haares, besonders am Abend. Ihre Stellung im Konvent war unklar. Von den meisten Mitschwestern wurde
sie als eine Mittelexistenz zwischen Toiletten- und Putzfrau betrachtet, was, selbst wenn sie jenes gewesen wäre, schon verwerflich
genug war. Manche |48| hatten Respekt, einige Angst vor ihr: mit der Direktorin stand sie auf dem Fuß »permanent gespannten Respekts« (B. H. T.).
Die Direktorin, eine gestrenge und intelligente aschblonde Schönheit, die ein Jahr, nachdem Leni die Schule verlassen hatte,
ihr Habit auszog und sich einer Nazifrauenorganisation andiente, verwarf nicht einmal Rahels Ratschläge in puncto Kosmetik,
die dem Klostergeist widersprachen. Bedenkt man, daß die Direktorin den Spitznamen »Tigress« trug, ihr Hauptfach Mathematik
war, ihre Nebenfächer Französisch und Geographie, so wird man begreifen, daß ihr Haruspicas Gebaren als »Fäkalistische Mystik«
nur lächerlich und nicht gefährlich erschien. Sie hielt es für unter der Würde einer Dame, ihre Exkremente auch nur eines
Blickes zu würdigen (B. H. T.), hielt das alles für mehr oder weniger »heidnisch«, obwohl (wiederum B. H. T.) es gerade das
Heidnische gewesen sein soll, das sie in jene Naziorganisation für Frauen trieb. Eins muß gerechterweise (alles nach B. H.
T.) gesagt werden: auch als sie das Kloster verließ, hat sie Rahel nie verraten. Sie wird von Leni, Margret und B. H. T. als
»stolze Person« geschildert. Obwohl sie nach allen erreichbaren Aussagen eine sehr schöne und ganz gewiß auch »erotisch ansprechbare
Person« (Margret) war, blieb sie auch nach ihrem Austreten aus dem Kloster unverheiratet, wahrscheinlich aus Stolz; weil sie
keine Schwäche zeigen, sich keinerlei Blöße geben wollte; sie ist, kaum fünfzigjährig, bei Kriegsende irgendwo zwischen Lemberg
und Czernowitz, wo sie in hoher amtlicher Funktion »Kulturpolitik« im Range einer Oberregierungsrätin betrieb, verschwunden.
Bedauerlicherweise. Der Verf. hätte sie zu gerne »zur Sache vernommen«.
Rahel hatte im Internat weder seriöse pädagogische noch ärztliche Funktionen, und doch übte sie beide aus; sie war nur angehalten,
in groben Fällen – bei krassem Durchfall |49| und Verdacht auf Infektionsgefahr – Meldung zu erstatten, auch war sie angehalten, auffällige Unreinlichkeiten in Zusammenhang
mit dem Verdauungswesen sowie Verstöße gegen die vorausgesetzte unterstellte Sittlichkeit zu melden. Letzteres tat sie nie.
Großen Wert legte sie darauf, den Mädchen schon am ersten Tag einen kleinen Vortrag über die Reinigungsmethoden nach jeglicher
Art von Stuhlgang zu halten. Unter Hinweis auf die Wichtigkeit, alle Muskeln, besonders die des Unterleibs, stets elastisch
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