Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
unbeschreiblicher, ausschließlich
kulinarischer Symbolik unbeschreibliche Details übers Küssen und Beiwohnen von sich gab, zum ersten Mal in ihrem Leben errötete
(Margret), und da sie selbst reueunfähig ist – eine Tatsache, die ihr das Beichten als bloße Routinetat, indem sie irgend
etwas ableierte, erleichterte –, müssen bei ihr irgendwelche Empfindungszentren durch diesen Aufklärungsversuch getroffen
worden sein, die bisher noch nicht entdeckt sind. Wenn hier versucht wird, Lenis direkte, proletarische, fast geniale Sinnlichkeit
einigermaßen glaubwürdig zu präsentieren, so muß hinzugefügt werden: schamlos war sie nicht, und so muß ihr erstes Erröten
als Sensation vermerkt werden. Als sensationell, als qualvoll und schmerzlich jedenfalls empfand Leni diesen Vorgang des heftigen
Errötens, der sich außerhalb ihrer Kontrolle vollzog. Daß eine ungeheure erotische und sexuelle Erwartung in ihr schlummerte,
braucht hier nicht mehr betont zu werden, und daß ihr von einem Religionslehrer auf diese Weise etwas erklärt wurde, das ihr
gleichzeitig wie die Kommunion als Sakrament angepriesen wurde, steigerte ihre Empörung und ihre Verwirrung über den ihr bis
dato unbekannten Vorgang des Errötens. Sie verließ einfach, vor Wut stammelnd, mit knallrotem Kopf den Religionsunterricht;
das |43| trug ihr eine weitere Fünf, in Religion, auf dem Abgangszeugnis ein. Was ihr außerdem im Religionsunterricht eingeprägt worden
war, immer wieder und immer wieder, ohne Begeisterung in ihr zu erwecken: die drei Berge des Abendlandes: Golgatha, Akropolis,
Capitol – wobei ihr Golgatha nicht unsympathisch war, ein Berg, von dem sie aus dem Bibelunterricht wußte, daß er nur ein
Hügel und keineswegs im Abendland gelegen war. Bedenkt man die Tatsache, daß Leni immerhin das Vaterunser und das Ave-Maria
behalten hat und sich dieser Gebete sogar noch bedient; daß sie ein paar Rosenkranzfragmente beherrscht, der Umgang mit der
Jungfrau Maria ihr selbstverständlich ist – so wäre hier doch vielleicht die Bemerkung am Platze, daß man Lenis religiöse
Begabung so verkannt hat wie ihre Sinnlichkeit, daß in ihr, an ihr vielleicht eine große Mystikerin zu entdecken und zu entwickeln
gewesen wäre.
Nun muß endlich angefangen werden, den Entwurf zu einem Denkmal wenigstens zu skizzieren, das einer Frauensperson gesetzt
werden muß, die leider als Zeugin nicht mehr aufgesucht oder auf- und ausgerufen werden kann; sie starb Ende 42 unter bisher
ungeklärten Umständen, nicht durch direkte Gewalt, aber durch drohende direkte Gewalt und durch Vernachlässigung, die ihre
Umwelt ihr widerfahren ließ. Dieser B. H. T. und Leni waren wahrscheinlich die einzigen Personen, die jene Frauensperson geliebt
hat; ihr bürgerlicher Name konnte auch nach sorgfältigen Nachforschungen nicht herausgefunden werden, weder ihr Herkunftsort
noch das Milieu, aus dem sie stammte; bekannt ist lediglich – und dafür gibt es Zeugen genug, Leni, Margret, Marja und eben
jener ehemalige Antiquariatslehrling, der sich mit den Initialen B. H. T. ausreichend legitimiert weiß – ihr Klostername:
Schwester Rahel. Außerdem ihr Spitzname: |44| Haruspica. Ihr Alter, als sie mit Leni und gleichzeitig diesem B. H. T. in Berührung kam (1937/38), mag etwa fünfundvierzig
Jahre betragen haben. Sie war klein, drahtig (nicht einmal Leni, nur dem B. H. T. hat sie erzählt, daß sie einmal Deutsche
Jugendmeisterin im 80-m-Hürdenlauf für Frauen war!); wahrscheinlich – sie hatte 1937/38 allen Grund, Details ihrer Herkunft
und Bildung nicht preiszugeben – war sie das, was man damals eine »hochgebildete Person« nannte, was keineswegs ausschließt,
daß sie möglicherweise promoviert, vielleicht sogar (unter einem anderen Namen natürlich) habilitiert war. Ihre Körpergröße
kann aus dem Gedächtnis der Zeugen leider nur geschätzt werden: etwa 1,60 m; ihr Gewicht mag um die 50 kg betragen haben;
Haarfarbe: meliertes Schwarz; Augen: hellblau; keltischer Ursprung nicht ausgeschlossen, ebensowenig jüdischer. Dieser B.
H. T., der jetzt als diplomierter Bibliothekar in einer Stadtbücherei mittleren Umfangs die Antiquariatskataloge studiert
und einen gewissen Einfluß auf die Anschaffungspolitik ausübt, ein für sein Alter relativ verbrauchter Mensch, liebenswürdig,
wenn auch ohne viel Initiative und Temperament, muß in diese Nonne trotz des Altersunterschieds von mindestens zwanzig
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