Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
extremer Unruhe befinden, weil sie so erhebliche
Differenzen – zwischen zweiundzwanzigkommafünf Pfennigen und etwa zwei Millionen Mark als Preis für genau die gleiche Dienstleistung
zu registrieren haben.
Auf welcher Sensibilitätsstufe registriert man etwa das Lebensgut Zündholz, nicht etwa eines ganzen, nicht eines halben, eines
viertel Zündholzes, mit dem sich abends ein Häftling seine Zigarette anzündet, während andere – außerdem Nichtraucher! – Gasfeuerzeuge,
so groß wie zwei geballte Fäuste, sinn- und zwecklos auf ihren Schreibtischen herumstehen haben?
Was sind das für Zustände? Wo bleibt da die Gerechtigkeit?
Nun, es soll hier lediglich angedeutet werden, daß viele Fragen offenbleiben.
Es ist wenig bekannt über Lenis Besuche bei Rahel, da den in diesem Kloster residierenden Nonnen wenig daran liegt, Lenis
Vertrautheit mit Rahel allzusehr ins Licht zu rücken, auf Grund von Plänen, die Margret schon angedeutet hat, die aber noch
enthüllt werden müssen. Es mußte auch in diesem Falle Rücksicht auf einen Zeugen genommen werden, der sich dem Verf. gegenüber
ziemlich exponiert hat und es teuer hat bezahlen müssen; es handelt sich um den Gärtner Alfred Scheukens, der ab 1941 als
Bein- und Armamputierter, noch nicht fünfundzwanzig Jahre alt, den Nonnen als Gärtner und Hilfspförtner zugewiesen wurde und
ziemlich genau über Lenis Besuche Bescheid gewußt haben muß. Er konnte nur zweimal vernommen werden, nach der zweiten Vernehmung
war er – in ein Kloster am Niederrhein versetzt, |159| und als versucht wurde, ihn dort ausfindig zu machen, war er von dort bereits wieder versetzt, und es wurde dem Verf. von
einer etwa fünfundvierzigjährigen, sehr energischen Nonne namens Sapientia ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, daß man
sich nicht verpflichtet fühle, über die Personalpolitik des Ordens Auskunft zu geben. Da das Verschwinden von Scheukens zeitlich
nah zusammenliegt mit der Weigerung von Schwester Cecilia, den Verf. zu einem vierten Gespräch, diesmal ausschließlich über
Rahel, zu empfangen, vermutet der Verf. Manipulation, Intrigen, und er weiß inzwischen auch warum: der Orden versucht einen
Rahel-Kult auf die Beine zu stellen, wenn nicht gar eine Selig- oder Heiligsprechung in die Wege zu leiten – und in diesem
Zusammenhang sind »Spitzel« (so wurde er bezeichnet), ist ganz gewiß Leni unerwünscht. Solange Scheukens noch sprach und sprechen
durfte, weil man nicht ahnte, worüber er sprach, gab er immerhin zu Protokoll, er habe bis Mitte 42 Leni zwei-, ja manchmal
dreimal wöchentlich heimlich zu Rahel hineingelassen, ins Klostergelände durch seine Pförtnerwohnung, und »im Klostergebäude
wußte sie ja ziemlich gut Bescheid«. Lotte, die nie etwas von dieser »mystischen und mysteriösen Nonne gehalten hat«, weiß
nichts darüber zu berichten, und Margret scheint Leni nur von Rahels Tod berichtet zu haben. »Sie ist da verkümmert«, hat
sie mir gesagt, »verhungert, obwohl ich doch zuletzt ihr immer zu essen gebracht habe, und als sie dann tot war, haben sie
sie im Garten verscharrt, ohne Grabstein und so; ich hab schon gespürt, als ich hinkam, daß sie nicht mehr da ist, und der
Scheukens hat zu mir gesagt: ›Kein Zweck mehr, Fräulein, kein Zweck – oder wollen Sie die Erde aufkratzen?‹ Ich bin dann zur
Oberin gegangen und hab energisch nach Rahel gefragt, da hat man mir gesagt, verreist, und als ich fragte, wohin, wurde die
Oberin ängstlich und sagte: ›Aber Kind, sind Sie denn |160| von allen guten Geistern verlassen?‹ Nun«, fuhr Margret fort, »ich bin froh, daß ich nicht mehr mitgegangen bin und daß es
mir gelungen ist, Leni von einer Anzeige abzuhalten; das hätte schiefgehen können – für Leni, das Kloster und alle. Dieses
›Der Herr ist nahe‹, das hat mir gereicht – und wenn ich mir vorstelle, er wäre wirklich zur Tür hereingekommen –« (hier bekreuzigt
sich sogar Margret).
»Ich habe mich (Scheukens beim letzten Besuch, wo er sich noch als gesprächig erwies) natürlich gefragt, was das für ne Frau
ist, so schick immer und mit so nem schicken Auto; Frau oder Freundin von nem Parteibonzen, hab ich gedacht – wer hat denn
damals schon ein eigenes Auto fahren können –, Partei oder Industrie.
Natürlich hats keiner wissen dürfen, und ich hab sie heimlich in den Garten geschleust, hier durch mein Häuschen und sie auch
hier wieder rausgelassen; aber es
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