Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
der Angriff auf die Sowjetunion kurz bevorstehe; in seinem neuen Posten
»als Planungschef erfuhr er so manches« (Hoyser sen.). Alle später am Tag vorgebrachten Einwände von Lotte und Otto Hoyser
gegen die Hochzeit zerstreute er mit einem »Ach, laßt nur ... laßt ...«.
Festzustellen bleibt, daß A. mit seiner telegrafischen Heiratserlaubnis die Mitteilung bekam, seinen Urlaub »unverzüglich
abzubrechen und sich bei seiner Division in Schneidemühl am 19. 6. 1941 einzufinden!«.
Standesamtliche Hochzeit, kirchliche; muß das beschrieben werden? Wichtig ist möglicherweise, daß Leni sich weigerte, ein
weißes Kleid anzuziehen; daß A. nur noch mit äußerster Nervosität das Hochzeitsessen absolvierte; daß Leni offenbar keineswegs
betrübt war über den Ausfall der offiziellen Hochzeitsnacht, ihn immerhin noch zum Bahnhof begleitete und sich dort von ihm
küssen ließ. Wie Leni später – während eines besonders schweren Bombenangriffs im Jahre 1944 – Margret in deren Luftschutzkeller
verriet, hat A. dann noch eine Stunde vor seiner Abfahrt im damaligen Bügelzimmer der G.schen Wohnung Leni gezwungen, ihm
»in Ehren und legitim« unter ausdrücklichem Hinweis auf ihre ehelichen Pflichten beizuwohnen, und damit war A. »für mich gestorben,
bevor er tot war« (Leni nach Margret).
Schon am 24. Juni 1941 abends kam die Meldung, daß A. bei der Einnahme von Grodno »fallen gelassen« worden sei.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang nur, daß Leni sich weigerte, Trauer zu tragen und Trauer zu zeigen; pflichtgemäß heftete
sie ein Foto von A. neben die Fotos von Erhard und Heinrich, nahm aber schon Ende 1942 A.s Foto wieder von der Wand.
|152| Es folgten zweieinhalb stille Jahre, in denen Leni neunzehn, zwanzig und endlich einundzwanzig wird. Sie geht nie mehr tanzen,
obwohl Margret und Lotte ihr hin und wieder Gelegenheit dazu bieten. Sie geht hin und wieder ins Kino, sieht (lt. Lotte H.,
die ihr immer noch die Kinokarten besorgt) die Filme »Jungens«, »Reitet für Deutschland« und »Über alles in der Welt«. Sie
sieht »Ohm Krüger« und »Himmelhunde« – und nicht ein einziger Film lockt ihr auch nur eine einzige Träne ab. Sie spielt Klavier,
kümmert sich rührend um ihre wieder rückfällig gewordene Mutter und fährt ziemlich viel mit dem Auto in der Gegend umher.
Sie besucht Rahel immer häufiger, nimmt in einer Thermosflasche Kaffee, in einer Frühstücksdose belegte Brote mit, Zigaretten.
Da die Kriegswirtschaft immer strenger wird, Lenis Tätigkeit in der Firma immer fiktiver, droht ihr Anfang 42 der Entzug des
Autos nach einer strikten Prüfung, der der Betrieb unterlag, und ein einziges, das allererste Mal erleben die Mitwisser, daß
Leni um etwas bittet; sie bittet ihren Vater, ihr »das Ding (womit sie ihr Auto, einen Adler, meint) zu lassen«, und als dieser
ihr erklärt, es läge das nicht mehr ganz in seiner Macht, bittet sie dringend und dringender, bis er schließlich »alle Hebel
in Bewegung setzt und ihr noch eine Frist von einem halben Jahr verschafft« (Lotte H.).
Hier erlaubt sich der Verf. einen erheblichen Eingriff, indem er sich gestattet, eine Art Schicksalshypothese aufzustellen,
sich Gedanken darüber zu machen, was aus Leni hätte werden können, müssen, sollen, wenn ...
Erstens Alois als einziger der drei bis dato für Leni wichtigen jungen Männer den Krieg überlebt hätte.
Wahrscheinlich wäre A., da der Soldatenberuf offenbar sein wahrer Beruf war, nicht nur bis, er wäre über Moskau hinausgestürmt,
wäre Leutnant, Hauptmann, möglicherweise |153| – die hypothetische sowjetische Gefangenschaft ersparen wir ihm – bei Kriegsende Major gewesen, hätte ordenbehangen ein Gefangenenlager
überlebt, notgedrungen irgendwann seine partielle Naivität verloren oder wäre ihrer – notfalls mit Gewalt – beraubt worden,
hätte als Heimkehrer zwei, als Spätheimkehrer ein Jahr als Hilfsarbeiter gearbeitet, möglicherweise gemeinsam mit dem alten
Gruyten, dem ein gedemütigter A. gewiß lieber gewesen wäre als ein triumphierender A., wäre gewiß früh in die Armee, jetzt
Bundeswehr, zurückgekehrt, wäre, inzwischen zweiundfünfzig, gewiß General. Ob er für Leni noch einmal der Gefährte für Ehe-
oder gar Liebesnächte hätte werden können? Der Verf. behauptet: Nein. Die Tatsache, daß sich Leni so wenig für Hypothesen
eignet, erschwert die Spekulation natürlich. Hätte Leni ein noch zu schilderndes
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