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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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bemerkt sie nicht, daß sie den Antrag unterschreibt und ab 1. 7. 1941
     – mit entsprechender Nachzahlung versteht sich – sechsundsechzig Reichsmark auf ihr Bankkonto kommen? Haben die Pfeiffers
     das nur getan, um sich ungefähr dreißig Jahre auf böse Weise an ihr zu rächen, indem sie ihren ansonsten ganz netten Sohn
     Heinrich, der kein Bein nachschleppt, sondern eins nachweisbar verloren hat, Leni eines Tages vorrechnen lassen, sie habe
     gut und gern an dem Namen Pfeiffer mindestens vierzig-, wahrscheinlich fünfzigtausend Mark verdient, da sie seit fast dreißig
     Jahren die mehrmals erhöhte, auf Grund ihrer Berufstätigkeit schwankende Witwenrente »kassiert« habe – und, erbost über sich
     selbst, daß er nun einmal so weit gegangen ist, und wahrscheinlich (Ansicht des Verf., die von keinem Zeugen bestätigt wurde)
     aus Eifersucht, weil er insgeheim vom ersten Tag an in Leni verschossen war, schreit er ihr dann noch in Gegenwart von Zeugen
     (Hans und Grete Helzen) ins Gesicht: »Und was hast du dafür getan, für die fünfzigtausend Mark? Einmal mit ihm im Gebüsch
     gelegen, und ein zweitesmal – nun, das weiß ja jeder – hat er dich schon anflehen müssen, der arme Kerl, der ne Woche drauf
     tot war und dir nen makellosen Namen hinterlassen hat, während du – während du – während, während du –« Ein Blick aus Lenis
     Augen macht ihn verstummen.
    Kommt Leni sich wie eine Hure vor, nachdem ihr »entgegengeschleudert« worden ist, daß sie für zweimaliges Beiwohnen ungefähr
     fünfzigtausend Mark kassiert hat – während sie – während sie – während sie –
    |166| Leni meidet das Büro nicht nur, sie betritt es kaum noch, sie bekennt Lotte H., daß der »Anblick dieser Haufen von frischgedrucktem
     Geld« ihr Übelkeit verursacht. Sie verteidigt ihr Auto gegen eine weitere Konfiskationsgefahr, sie benutzt es nur noch, um
     damit in »der Gegend rumzufahren«, nimmt allerdings jetzt immer häufiger ihre Mutter mit, »und sie sitzen stundenlang in hübschen
     Cafés und Restaurants, die möglichst nahe am Rhein liegen, lächeln sich an, blicken auf die Schiffe, rauchen Zigaretten«.
     Was alle Gruytens um die Zeit auszeichnet, ist diese »undefinierbare Heiterkeit, die einen schon langsam verrückt machen konnte«
     (Lotte H.). Frau G.s Krankheit ist nun endgültig mit wenig Hoffnung auf Besserung diagnostiziert: multiple Sklerose, immer
     rascher ins Endstadium geratend. Sie wird von Leni ins Auto getragen, aus dem Auto raus; sie liest nicht mehr, nicht einmal
     mehr Yeats, hin und wieder »läßt sie einen Rosenkranz durch ihre Hände gleiten« (van Doorn), verlangt aber nicht nach »den
     Tröstungen der Kirche«.
    Diese Periode im Leben der Gruytens – zwischen Anfang 42 und Anfang 43 – wird von allen Beteiligten eindeutig als die »luxuriöseste
     bezeichnet«. »Verantwortungslos, ja verantwortungslos, und wenn ich das sage, dann verstehen Sie vielleicht besser, warum
     ich heute nicht gerade hart, aber auch nicht sehr weich mit Leni umgehe, genossen sie alles, was der Schwarzmarkt Europas
     bot – und dann kam diese fürchterliche Sache heraus, von der ich bis heute nicht weiß, warum Hubert sie gemacht hat. Er hatte
     es doch gar nicht nötig. Wirklich, er hatte es nicht nötig.« (M. v. D.)
     
    »Die Sache« kam lediglich durch einen absurden, rein literarischen Zufall heraus. Gruyten nannte es später ein »reines Notizbuchgeschäft«,
     was bedeutete, er trug sämtliche Unterlagen in seiner Brieftasche und einem Notizbuch |167| ständig mit sich herum; seine Postadresse war in dieser Sache sein Stadtbüro, er hat niemand in diese Sache eingeweiht, niemand
     hineingezogen, nicht einmal seinen Freund und Hauptbuchhalter Hoyser. Es war eine riskante Sache, ein Spiel um hohen Einsatz,
     bei dem es nachweislich Gruyten weniger um den Einsatz als um das Spiel ging, und wahrscheinlich hat bis auf den heutigen
     Tag nur Leni ihn »verstanden«, so wie seine Frau ihn »verstand«, und – mit Einschränkungen allerdings – Lotte H., die zwar
     das meiste verstand, nur das »verflucht Selbstmörderische daran nicht, es war doch Selbstmord, reiner Selbstmord – und was
     hat er mit dem Geld gemacht? Es waren die Packen, die Haufen, die Bündel, die er verschenkte! Es war so sinnlos, so nihilistisch
     – so abstrakt, verrückt.«
    G. hatte dieser »Sache« wegen eigens in einer etwa sechzig Kilometer entfernten Kleinstadt eine Firma gegründet, die er »Schlemm
     und Sohn«

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