Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
Anschauungen nicht widersprach und auch nicht widersprechen mochte, schien trotz
seiner Unmäßigkeit im Rauchen und Teetrinken (schon die dritte Tasse!) die Sympathie nicht abzuflauen. »Sie können sich denken,
daß ich gezittert habe, objektiv mehr oder weniger unbegründet, denn die Verwandten dieser Liane tauchten nie auf, aber es
hätte ja eine scharfe Betriebsprüfung, eine Personalkontrolle bei Pelzer vorgenommen werden können, und da war doch noch dieser |191| verfluchte Nazi Kremp, die Wanft und die deutschnationale Zeven, mit der ich an einem Tisch arbeitete. Pelzer, der ist und
war immer ein Genie der Witterung; er muß gewittert haben, daß ich nicht so ganz sattelfest war, denn als er anfing, seine
krummen Dinger mit den Blumen und dem Grün ziemlich offen und grob zu drehen, bekam ich Angst, ich würde nicht an mir, sondern über ihn in Gefahr geraten, wollte kündigen, und als ichs ihm sagte, sah er mich so komisch an und sagte: ›Sie kündigen? Können
Sie sich das leisten?‹, und ich bin sicher, gewußt hat er nichts, aber gewittert hat er – und ich wurde nervös und nahm die
Kündigung zurück, aber der hatte natürlich gemerkt, daß ich wirklich nervös geworden war und Grund hatte, nervös zu sein, und bei jeder Gelegenheit betonte er meinen Namen so, als wärs ein falscher
Name, und von der Kremer wußte er natürlich, daß ihr Mann als Kommunist im KZ ermordet worden war, bei der Pfeiffer witterte
er und hatte wiederum mit seiner Witterung tatsächlich eine Spur, trächtiger als er und wir alle ahnten. Daß da Sympathien
herrschten zwischen der kleinen Pfeiffer und diesem Boris Lvović, war ziemlich deutlich und schon gefährlich genug, aber das – den Mut hätte ich ihr nicht zugetraut. Übrigens bewies Pelzer seine Witterung auch, als er 45 sofort wußte, daß Blumen ›flowers‹
heißen, nur mit Kränzen hat er sich vertan, er hat sie nämlich ›circles‹ genannt, und eine Zeitlang glaubten die Amerikaner,
er habe Geheimzirkel gemeint.«
Pause. Kurz. Ein paar Fragen des Verf., der während der Pause mühsam den Rest seiner dritten Zigarette in der silbernen Nußschale
unterbrachte und in der ansonsten makellosen Bücherwand mit Sympathie feststellte, daß die Einbände von Proust, Stendhal,
Tolstoi und Kafka sehr abgegriffen wirkten, nicht schmutzig, nicht fleckig, nur abgegriffen, abgenutzt wie ein immer wieder geflicktes, gewaschenes
Lieblingskleidungsstück.
|192| »Ja, ja, ich lese gern, und immer wieder Bücher, die ich schon etliche Male gelesen habe, den Proust hab ich schon in der
Benjaminschen Übersetzung gelesen 29 – und nun zu Leni: natürlich ein Prachtmädel, ja, Mädel sage ich, wenn sie auch auf Ende
Vierzig zugeht; nur: so recht warm wurde man nicht mit ihr, nicht während des Krieges und nachher nicht; nicht, daß sie kalt
gewesen wäre, nur: still und so schweigsam; freundlich – aber schweigsam und eigensinnig; als erste hatte ich den Spitznamen
die ›Dame‹ weg, dann, als Leni bei uns anfing, hießen wir ›die beiden Damen‹, aber es dauerte kein halbes Jahr, dann hatte
man ihr die ›Dame‹ wieder weggenommen, und es war wieder nur eine ›Dame‹ da, ich. Seltsam – ich bin erst spät dahintergekommen,
was Leni so merkwürdig, fast undurchsichtig machte – sie war proletarisch, ja, ich bleibe dabei, ihr Verhältnis zu Geld, Zeit
und so weiter – proletarisch; sie hätte es weit bringen können, aber sie wollte nicht weiter; es war nicht das Fehlen von
Verantwortungsgefühl, auch nicht die Unfähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, und daß sie sogar planen konnte, nun, das hat
sie wohl reichlich bewiesen, fast eineinhalb Jahre hat sie diese Liebschaft mit Boris Lvović gehabt, und nicht einer, nicht
ein einziger von uns hat das für möglich gehalten, nicht einmal sind sie oder er ertappt worden, und ich kann Ihnen sagen,
die beiden wurden von der Wanft und der Schelf und von diesem miesen Kremp mit Argusaugen überwacht, so daß ich manchmal Angst
bekam und dachte, wenn sie was miteinander haben, dann gnade ihnen Gott. Gefährlich wars nur am Anfang, als sie – schon aus praktischen Gründen –
gar nichts miteinander haben konnten , und ich habe natürlich manchmal bezweifelt, ob sie – wenn sie ... – wußte, was sie tat; sie war nämlich ziemlich naiv. Und
wie gesagt: kein Verhältnis zum Geld, keins zum Besitz. Wir verdienten alle, je nach Zulagen und Überstunden und so, zwischen
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