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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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einem silbernen Etui (das knapp für acht Zigaretten reichte),
     eine brennende Wachskerze, Zündhölzer in einer Porzellanumhüllung, die handbemalt war mit einem Sternenkreis aus nur elf Bildern,
     in dessen Mitte ein stilisierter Schütze rosa von den ansonsten blau gehaltenen Sternbildern abstach, ließen die Vermutung
     zu, Frau H. sei im Zeichen des Schützen geboren; Vorhänge altrosa, Möbel hellbraun, Nußbaum, Teppiche weiß, an den Wänden,
     wo die Bücher Platz gelassen hatten, Stiche mit Rheinansichten, vorsichtig handkoloriert, sechs oder sieben Stiche (der Verf.
     kann hier nicht für äußerste Exaktheit bürgen), die höchstens sechs mal vier Zentimeter groß waren, präzis und von einer juwelenhaften
     Klarheit: Bonn von Beuel, Köln von Deutz aus gesehen, Zons vom rechten Rheinufer zwischen Urdenbach und Baumberg aus, Oberwinter,
     Boppard, Rees; und da der Verf. sich außerdem erinnert, Xanten gesehen zu haben, vom Künstler etwas näher an den Rhein gerückt, |189| als geographische Exaktheit zulassen würde – müssen es doch sieben Stiche gewesen sein. »Ja, ja«, sagte Frau Hölthohne und
     hielt dem Verf. das silberne Etui hin, fast, wie es ihm schien, mit einer Miene, als erwarte sie, er würde sich nicht draus
     bedienen (er mußte sie enttäuschen und bemerkte auch eine ganz, ganz leise Umwölkung ihrer Stirn). »Sie sehen recht, nur linksrheinische
     Ansichten (und sie eilte damit in ihrer Sensibilität der Auffassungs-, Wahrnehmungs- und Interpretationsgeschwindigkeit des
     Verf. voraus!). Ich bin Separatistin gewesen und bin es noch und nicht nur mental; am fünfzehnten November 23 bin ich am Ägidienberg
     verwundet worden, nicht auf der rühmlichen, auf der unrühmlichen Seite, die für mich immer noch die rühmliche ist. Ich lasse
     mir nicht ausreden, daß dieses Land nicht zu Preußen gehört, nie dazugehört hat und auch nicht in irgendein von Preußen gegründetes
     sogenanntes Reich. Separatistin, noch heute, nicht für ein französisches, für ein deutsches Rheinland. Der Rhein als des Rheinlands
     Grenze, und natürlich gehören das Elsaß und Lothringen dazu; als Nachbar ein unchauvinistisches Frankreich, republikanisch
     natürlich. Nun, ich bin 23 nach Frankreich geflohen, dort geheilt worden und mußte damals schon unter falschem Namen, mit
     falschen Papieren nach Deutschland zurück, 24 dann. Es war dann auch 33 besser, Hölthohne zu heißen und nicht Elli Marx, und
     weg wollte ich nicht wieder, nicht wieder emigrieren. Wissen Sie warum? Ich liebe dieses Land und die Leute, die es bewohnen:
     sie sind nur in die falsche Geschichte geraten, und nun mögen Sie mir mit so viel Hegel kommen, wie Sie wollen (der Verf.
     hatte nicht vor, mit Hegel zu kommen! Der Verf.), und mir sagen, man könne gar nicht in eine falsche Geschichte geraten. Es
     schien mir besser, nach 33 mein gutgehendes Büro als Gartenarchitektin dranzugeben, ich ließ es einfach pleite gehen, das
     war der einfachste |190| und am wenigsten auffällige Weg, wenn es auch schwierig war, mein Büro ging nämlich gut. Dann kam die Sache mit dem Ahnenpaß,
     heikel, gefährlich, aber ich hatte natürlich immer noch meine Freunde in Frankreich und ließ es von da aus machen. Diese Liane
     Hölthohne war nämlich 24 in einem Pariser Bordell gestorben, und man hatte an ihrer Stelle einfach die Elli Marx aus Saarlouis
     sterben lassen. Ich ließ das Ahnenpaß-Getue durch einen Pariser Anwalt machen, der wieder einen Bekannten bei der Botschaft
     hatte, aber so diskret es auch gemacht wurde, eines Tages kam dann eben ein Brief aus einem Dorf bei Osnabrück, in dem ein
     Erhard Hölthohne seiner Liane anbot, ›ihr alles zu verzeihen, und komm doch in die Heimat zurück, ich baue dir eine Existenz
     auf‹. Nun mußten wir erst warten, bis die Ahnenpaßpapiere beisammen waren, und dann diese Liane Hölthohne in Paris sterben
     lassen, während sie in Deutschland als Gartenarbeiterin weiterlebte. Nun, es klappte. War ziemlich sicher, aber nie todsicher,
     und deshalb schien es mir besser, bei einem Nazi wie dem Pelzer unterzuschlüpfen.«
    Vorzüglicher Tee, dreimal so stark wie bei den Nonnen, köstliche Petits fours, aber zu oft, nun schon zum drittenmal griff
     der Verf. ins silberne Etui, obwohl der kaum nußschalengroße Aschenbecher Asche und Rest der dritten Zigarette kaum fassen
     würde. Kein Zweifel: Frau Hölthohne war eine intelligente und mäßige Frau, und da der Verf. ihren separatistischen

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