Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
Ofenheizung, Mobiliar aus dem Beginn der fünfziger Jahre, bei beiden der Eindruck der »Knappheit« und Hinfälligkeit, doch
– hier beginnen die Differenzen – die eine (Wanft) mit einem Nymphen-, die andre (Kremer) einem Wellensittich. Die Wanft –
hier werden die Differenzen erheblich – streng, fast unnahbar, knappmündig, als spukke sie dauernd, und das angesichts der
Kleinheit ihres Mundes mit äußerster Mühe, Kirschkerne aus, war nicht bereit, »viel über dieses Luder zu sagen. Ich habs doch
gewußt, ich habs doch geahnt, und ich könnte mich heute noch ohrfeigen, daß ichs nicht rausgekriegt habe. Die hätte ich gern
mit geschorenem Kopf gesehen, und ein bißchen Spießrutenlaufen hätte der auch nicht geschadet. Sich mit nem Russen einzulassen,
während unsere Jungs an der Front waren und ihr Mann gefallen und ihr Vater ein Schieber erster Güte – und der wurde nach drei Monaten schon die Garnierungsgruppe übergeben und mir abgenommen. Nein. Ne Schlampe, sonst nichts – keinen
Sinn für Ehre, und immer mit ihrem aufreizenden Leib –, die hat alle Männer verrückt gemacht; der Grundtsch scharwenzelte
wien Kater um sie rum, für den Pelzer war sie die erotische Ersatz-Reserve zwei, und sogar dem guten Arbeiter Kremp, der sein
Bestes hergab, hat sie den Kopf verdreht, so daß er ganz unleidlich wurde. Und spielte auch noch die Dame und war doch nichts
als ne |196| abgetakelte Neureiche. Nee. Was war das fürn harmonisches Arbeiten, bevor sie kam. Danach war immer so ein Knistern in der
Luft, Spannungen, die sich nie entluden – Prügel wäre die beste Entspannung gewesen. Na, und das kitschige Jungmädchenpensionatsgefummel
mit den Blumen, da sind sie dann alle drauf reingefallen. Nein, ich war isoliert, regelrecht isoliert, seit sie da war, und
auf deren Getue mit Kaffeeanbieten und so bin ich gar nicht erst reingefallen, das nennen wir ›süßes Heu‹, nichts sonst, ne
Pute, ne halbe Nutte und ein Flittchen ganz bestimmt.« Das ging nicht so rasch, wies hingeschrieben wird, bei der Wanft: Stück
für Stück, Kern für Kern, wie aus ihrem Mund rausgedrückt, und mehr wollte sie nicht sagen und sagte doch mehr, bezeichnete
den alten Grundtsch als »mißglückten Faun oder Pan, wie Sie wollen«, und Pelzer als den »schlimmsten Schurken und Opportunisten,
den ich je gekannt habe, und für den habe ich mich bei der Partei eingesetzt, für ihn garantiert habe ich. Als Vertrauensperson
der Partei (Gestapo? Der Verf.) wurde ich doch immer gefragt. Und nach dem Krieg? Als mir die Rente gestrichen wurde, weil
mein Mann doch nicht im Krieg, sondern 32/33 bei Straßenkämpfen gefallen war? Nichts von Herrn Walter Pelzer, der doch im
gleichen SA-Sturm wie mein Mann war. Nichts. Mit Hilfe der kleinen Nutte und der jüdischen Dame hat er sich rausschwindeln können, während ich drinsaß und drin hocken blieb. Nein, gehen Sie mir weg mit denen. Es gibt keine
Dankbarkeit und keine Gerechtigkeit auf dieser Welt, und ne andere als diese haben wir nun mal nicht.«
Frau Kremer, die noch am gleichen Tag aufgesucht werden konnte, war, was Leni betrifft, wenig ergiebig, nannte sie nur »das
arme, liebe Ding – das liebe Ding, das arme und so ahnungslose, das liebe arme Ding. Und dieser Russe, nun, ich muß Ihnen
sagen, ich war sehr mißtrauisch |197| und wäre es heute noch. Wenn das nicht ein verkappter Gestapospitzel war. Wie der Deutsch konnte und wie zuvorkommend der
war, und wieso kam ausgerechnet der in eine Gärtnerei und nicht auf die Himmelfahrtskommandos beim Bombenräumen und Bahnschienenreparieren?
Ein netter Junge war er ja, aber ich hab mich nicht getraut, mit ihm viel zu reden, jedenfalls nicht mehr, als bei der Arbeit
nötig war.«
Frau Kremer muß man sich als eine gänzlich verblaßte ehemalige Blondine vorstellen, deren ehemals gewiß blaue Augen fast farblos
geworden sind. Weiches Gesicht, in Weichheit aufgelöst, nicht bösartig, nur ein bißchen grämlich, bekümmert, nicht kümmerlich,
Kaffee anbietend, doch keinen trinkend; breitmündig sprach sie leicht dahinfließend, ein bißchen lau, die Interpunktion kaum
im Sprachrhythmus beachtend. Nicht nur überraschend, geradezu signalhaft aufleuchtend die unbeschreibliche Präzision, mit
der sie von Hand Zigaretten drehte: exakt, aus halbfeuchtem, honiggelbem Tabak, makellos, und brauchte mit der Schere keine
Flusen abzuschneiden. »Ja, das habe ich schon früh gelernt, war
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