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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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|193| 25 und 40 Mark die Woche, später zahlte Pelzer uns noch ne ›Listenprämie‹ wie ers nannte: für jeden Kranz 20 Pfennig extra,
     die umgelegt wurden, nun, das machte auch ein paar Mark in der Woche, aber die Leni brauchte mindestens zwei Wochenlöhne jede
     Woche allein für ihren Kaffee, das konnte ja gar nicht gutgehen, obwohl sie die Mieteinnahmen aus dem Haus noch hatte. Manchmal
     habe ich gedacht und denke es heute noch: das Mädchen ist ein Phänomen. Man wußte nie genau, ob sie sehr tief ist oder sehr
     flach – und es mag widersprüchlich klingen: ich glaube, sie ist beides, sehr tief und sehr flach, nur eins ist sie nicht und
     nie gewesen: ein Flittchen. Das nicht. Nein. Ich habe ja 45 keine Wiedergutmachung bekommen, weils nicht zu klären war, ob
     ich als Separatistin oder als Jüdin untergetaucht war. Für untergetauchte Separatisten gabs natürlich keine Entschädigung
     – und als Jüdin, nun, beweisen Sie mal, daß Sie absichtlich pleite machen, um die Aufmerksamkeit von sich abzulenken. Was
     ich bekommen habe, und auch das nur durch einen Freund bei der französischen Armee, war eine Lizenz für eine Gärtnerei und
     einen Blumenhandel, und ich habe die Leni gleich Ende 45, als es ihr ziemlich dreckig ging mit ihrem Kind, zu mir ins Geschäft
     genommen, und sie ist vierundzwanzig Jahre, bis 70, bei mir gewesen. Nicht zehn- oder zwanzig-, nein mehr als dreißigmal habe
     ich ihr eine Filialleitung, ich habe ihr Teilhaberschaft angeboten, und sie hätte in einem hübschen Kleid vorne im Laden bedienen
     können, aber die stand lieber in ihrem Kittel in der kalten Hinterstube, flocht Kränze und band Blumensträuße. Kein Ehrgeiz,
     weiter und höher zu kommen, kein Ehrgeiz. Manchmal denke ich, sie ist eine Träumerin. Ein bißchen verrückt, aber sehr sehr
     liebenswert. Und natürlich, und auch darin sehe ich etwas Proletarisches, ziemlich verwöhnt: wissen Sie, daß sie, selbst Arbeiterin,
     mit einem Wochenlohn von höchstens fünfzig Mark, ihr |194| altes Dienstmädchen auch während des Krieges gehalten hat – und wissen Sie, was die ihr eigenhändig täglich buk?: ein paar
     frische Brötchen, knackfrisch, sage ich Ihnen, so daß mir manchmal das Wasser im Munde zusammenlief und ich – wenn auch ganz
     die ›Dame‹ – manchmal drauf und dran war, zu sagen: ›Kind, lassen Sie mich mal beißen, bitte, lassen Sie mich mal beißen.‹
     Und sie hätte mich beißen lassen, darauf können Sie sich verlassen – ach, hätte ich sie nur gefragt, und würde sie mich doch,
     wenn es ihr jetzt so dreckig geht, ruhig um Geld fragen –; aber wissen Sie, was sie außerdem ist? Stolz. So stolz wie Prinzessinnen
     nur im Märchen sind. Und was ihre binderischen Fähigkeiten betrifft, so wurde sie sehr überschätzt; natürlich war sie geschickt
     und begabt, aber für meinen Geschmack hatte ihre Garnierung zuviel Filigranelemente, zu fein, wie Stickerei, nicht wie schönes,
     grobmaschiges Stricken; sie wäre eine sehr gute Gold- und Silberschmiedin geworden, aber bei Blumen – das mag Sie überraschen
     – muß man manchmal rauh und herzhaft zupacken, das tat sie nie, es steckte Mut in ihrer Garnierung, doch keine Kühnheit. Bedenkt
     man aber, daß sie vollkommen ungelernt war, so wars schon großartig, subjektiv großartig, wie rasch sie das gelernt hatte.«
    Da die Teekanne nicht mehr erhoben, das silberne Etuichen nicht mehr geöffnet und entgegengehalten wurde, hatte der Verf.
     den Eindruck, die Unterredung sei (vorläufig mit Recht, wie sich herausstellte) beendet. Ihm schien, Frau Hölthohne habe Wesentliches
     zur Vervollständigung des Leni-Bildes beigetragen. Frau H. gewährte ihm noch einen Blick in ihr kleines Atelier, wo sie sich
     neuerdings wieder der Gartenarchitektur widmet. Für Zukunftsstädte entwirft sie »hängende Gärten«, die sie »Semiramis« nennt
     – eine, wie dem Verf. schien, relativ einfallsschwache Bezeichnung für eine so leidenschaftliche Proust-Leserin. Es blieb
     beim Abschied der Eindruck, |195| daß dieser Besuch endgültig beendet, weitere aber nicht ausgeschlossen seien, denn es blieb viel, wenn auch ermüdete Liebenswürdigkeit
     auf dem Gesicht von Frau H. stehen.
     
    Bei den Damen Marga Wanft und Ilse Kremer kann partiell wieder Synchronisation vorgenommen werden; beide Invalidenrentnerinnen,
     die eine siebzig, die andere neunundsechzig Jahre alt, beide weißhaarig, beide in Eineinhalbzimmer-Sozialbauappartements wohnend,
     mit

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