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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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vielleicht das erste, was ich gelernt habe, für meinen Vater
     1916 auf Festung, später für meinen Mann im Kittchen, dann, als ich selbst ein halbes Jahr saß; und in der Arbeitslosenzeit
     natürlich und wieder im Krieg – ich bin im Zigarettendrehen nie aus der Übung gekommen«, hier steckte sie sich eine an, und
     plötzlich, mit dem frisch gedrehten weißen Glimmstengel im Mund, konnte man ahnen, daß sie einmal jung und sehr hübsch gewesen
     war; natürlich bot sie auch eine an, ohne viel Getue, schob einfach eine Zigarette über den Tisch und deutete auffordernd
     drauf. »Nein, nein, ich will nicht mehr, will nicht mehr. Ich wollte schon 29 nicht mehr; ich hatte nie viel Kraft, jetzt
     habe ich gar keine mehr, und im Krieg hat mich nur der Junge, mein Erich, aufrechterhalten, ich |198| habe immer nur gehofft, er wird nicht alt genug, bevor der Krieg zu Ende geht, aber er wurde alt genug, und sie haben ihn
     weggeholt, noch bevor er die Schlosserlehre aus hatte; still, schweigsam, ein ernster Junge, und bevor er wegging, habe ich
     zum letztenmal im Leben was Politisches gesagt, gefährlich: ›Lauf über‹, hab ich gesagt, ›sofort.‹ ›Überlaufen?‹ hat er gefragt,
     mit seiner ewig gerunzelten Stirn, und ich habs ihm erklärt, was Überlaufen ist. Da hat er mich komisch angesehen, ich hab
     Angst gekriegt, daß er wo was sagt darüber, da hat er wohl, selbst wenn ers gewollt hätte, gar keine Zeit mehr gehabt. Sie
     haben ihn im Dezember 44 zum Schanzen an die belgische Grenze geschleppt, und ich habe erst Ende 45 Bescheid bekommen, daß
     er tot ist. Siebzehn. Hat immer so ernst und freudlos ausgesehen, der Junge. Unehelich, müssen Sie wissen, Vater Kommunist,
     Mutter ebenfalls. In der Schule und auf der Straße hat ers zu hören bekommen. Sein Vater seit 42 tot, seine Großeltern hatten
     doch selber nichts. Na. Den Pelzer hatte ich schon 23 kennengelernt. Möchten Sie raten, wo? Sie werdens nicht raten. In der
     KP. Der hatte nämlich nen faschistischen Propagandafilm gesehen, der hätte abschreckend wirken sollen; auf ihn wirkte er anziehend.
     Der Walter verwechselte in dem Film Revolution mit Plünderei und Räuberei, da war er schief gewickelt, flog raus aus dem Kampfbund,
     ging zum Freikorps, dann schon 29 in die SA. Zuhälter war er auch ne Weile. Der konnte alles. Auch Gärtner war er natürlich,
     Schwarzhändler, was Sie wollen. Frauenheld. Überlegen Sie mal, wie die Belegschaft in der Kranzbinderei zusammengesetzt war:
     drei scharfe Faschisten: der Kremp, die Wanft und die Schelf; zwei Neutrale: die Frieda Zeven und die Helga Heuter; mich als
     lahmgelegte Kommunistin; die Dame als Republikanerin und Jüdin; Leni, politisch nicht klassifiziert, aber doch angeschlagen durch den Skandal mit ihrem Vater
     und immerhin Kriegerwitwe; |199| dann den Russen, den er nun tatsächlich ziemlich hofiert hat – was konnte dem nach dem Krieg passieren? Nichts. Und es ist
     ihm ja nichts passiert. Bis 33 hat er mich geduzt, wenn ich ihn mal traf, hat er gesagt: ›Na, Ilse, wer wirds Rennen machen,
     ihr oder wir?‹; von 33 bis 45 hat er mich gesiezt, und die Amerikaner waren noch nicht fünf Tage da, da hatte er schon wieder
     eine Lizenz, ist zu mir gekommen, hat mich wieder Ilse genannt und gemeint, ich müßte jetzt aber Stadtverordnete werden. Nein,
     nein, nein – ich hab zu lange gewartet, hätte schon Schluß machen sollen, als der Junge wegging. Ich hab nicht mehr gewollt,
     schon lange nicht mehr. Die Leni ist Ende 44 mal privat zu mir gekommen, hat dagesessen und eine Zigarette geraucht und hat
     mich immer so ein bißchen bang angelächelt, als wollte sie was sagen, und ich wußte sogar ungefähr, was sie hätte sagen können,
     wollte es aber nicht wissen. Man sollte nie zuviel wissen. Ich wollte gar nichts wissen, und weil sie stumm und bang lächelnd
     dagesessen hat, hab ich schließlich zu ihr gesagt: ›Nun sieht man ja, daß du schwanger bist, und was es heißt, eine Uneheliche
     zu sein, das weiß ich.‹ Nein, und dann nach dem Krieg der ganze Klimbim mit Widerstand und Rente, Wiedergutmachung und eine
     neue KP mit Leuten, von denen ich weiß, daß sie meinen Willi auf dem Gewissen haben. Wissen Sie, wie ich die genannt habe?
     Ministranten. Nein, nein – dazwischen die ahnungslose Leni, das arme liebe Ding, die sie tatsächlich rumgekriegt haben, als
     ›Hinterbliebene eines tapferen Frontkämpfers der Roten Armee‹ so ne Art Wahlkampf-Blondine abzugeben. Und ihren

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