GU Die Familienschatzkiste
schmecken erst nach dem Kochen.
Emma im Kirschbaum
Eine kleine Geschichte zum Vorlesen oder Selberlesen
Emma war 5 Jahre alt. Was sie ganz besonders gut konnte, war klettern. Und besonders gern kletterte sie auf den Kirschbaum in ihrem Garten. Ihr Papa hatte ein Brett in den oberen Ästen befestigt. Da saß sie immer. Und eine Hängematte war ebenfalls in den Wipfel des Baumes gebunden. Sie konnte bis zur Vogelscheuche gucken. Und sie konnte natürlich Kirschen essen. Emma saß wie jeden Tag nach dem Kindergarten in ihrem Kirschbaum, aß Kirschen und dachte nach. Über Mami, die immer dicker wurde, und über Papi, der Mamis Bauch streichelte und dabei immer so komisch lächelte. Emma wusste, dass in Mamis Bauch ein Brüderchen oder Schwesterchen heranwuchs.
Als sie diese Neuigkeit im Kindergarten erzählte, sagte Hannah, die eigentlich ihre Freundin war: »Na, da wirst du aber keine Nacht mehr schlafen können, das ist so ein Gebrüll, da machst du kein Auge zu!« – »Mama hat gesagt, dann hab ich jemanden zum Spielen!«, sagte Emma kleinlaut. »Von wegen!«, antwortete Hannah, »wie willst du mit jemandem spielen, der noch nicht reden, nicht laufen und auch sonst nichts kann, als nur in der Gegend herumzuliegen und zu schreien?« »Und der Gestank!«, begann Fritz, »und dann sehen sie dich lächelnd an und fragen: Willst du auch mal wickeln? Du bist doch jetzt eine große Schwester?« Und Josephine fügte noch hinzu: »Und dann verlangen sie auch noch, dass du dieses schreiende Ding liebst. Sonst sehen sich alle an und sagen: ›Emma ist eifersüchtig!‹« »Genau«, pflichtete Fritz Josephine bei, »weil dich das Baby vom Thron stößt!« »Von welchem Thron?«, fragte Emma entsetzt. Doch darauf wusste niemand eine Antwort. Alle waren sich jedenfalls einig, Emmas lustige Tage waren bald ein für alle Mal vorbei.
Drei Wochen später wachte Emma mitten in der Nacht auf. Mama und Papa rannten im Haus hin und her, dann klingelte es an der Wohnungstür. Gleichzeitig hörte Emma nun die Stimmen von Tante Lisbeth und einem Mann, der fragte, ob Papa ein Taxi bestellt hatte. Emma rannte zum Fenster. Papa stützte Mama und trug einen Koffer, dann stiegen sie ins Auto ein und fuhren los. Niemand hatte sich von ihr verabschiedet.
Da öffnete sich vorsichtig die Tür, und Tante Lisbeth sah zu Emma ins Zimmer. »Du schläfst ja gar nicht, Emma!«, sagte sie. Emma schüttelte den Kopf und legte sich wieder ins Bett. Tante Lisbeth setzte sich zu ihr. »Es geht los. Das Baby möchte auf die Welt. Wenn du morgen aufwachst, bist du schon eine große Schwester.« Emma sagte gar nichts mehr. Aber in dieser Nacht beschloss sie, auszuziehen. Kaum war Tante Lisbeth aus dem Raum, packte Emma ihren Rucksack mit all den wichtigen Dingen, die man so brauchen würde, wenn man allein lebte. Ihre Getränkeflasche voll gefüllt mit Apfelsaft, ein Stück Brot, ihren Teddy Fips, Malsachen, ein Kartenspiel, eine frische Unterhose. In einer Hand ihr Bettzeug, auf dem Rücken den Rucksack, schlich sie sich hinaus. Vorher hatte sie noch eine Nachricht auf den Küchentisch gelegt, damit Tante Lisbeth Bescheid wusste. Darauf waren der Kirschbaum gemalt und ihr Name geschrieben. EMMA stand da mit großen Buchstaben, und ein Pfeil zeigte die Stelle, die ihr neues Zuhause sein sollte: der Kirschbaum.
Gemütlich richtete Emma ihr neues Heim ein und schlief kurz darauf in der Hängematte ein.
»Emma, Emma!« Tante Lisbeth klang aufgeregt. »Was machst du denn da oben?« Emma streckte sich, gähnte und blinzelte in die Sonne. Dann rief sie zu ihrer Tante hinunter: »Ich wohne jetzt hier!« Tante Lisbeth schmunzelte ein wenig, dann sagte sie: »Deine Eltern haben gerade aus der Klinik angerufen. Du hast ein Brüderchen bekommen, und morgen darf deine Mama wieder nach Hause!« »Hm«, sagte Emma, aber sie empfand ein kleines lustiges Gefühl in der Magengegend. »Ein Brüderchen«, wie komisch sich das anhörte. Aber ausgezogen war eben ausgezogen. Es gab kein Zurück. Mittags ließ Emma ihren Rucksack an einer Schnur hinunter, und Tante Lisbeth füllte ihn mit dem Mittagessen: Zwiebelkuchen und Aprikosenjoghurt als Nachtisch. Emma ließ es sich schmecken. Dann malte sie ein Bild von den Feldern und der Vogelscheuche, spielte Maumau gegen sich selbst und versuchte, die Vogelsprache zu lernen.
Abends schlief Emma wieder im Kirschbaum, und das war herrlich. Am nächsten Morgen wurde Emma von einem Auto geweckt, das am Tor vor ihrem Haus hielt. Es war
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