Guardian Angelinos: Tödliche Vergangenheit (German Edition)
Sie nicht?
Fang nicht davon an, Devyn. Erst mal nicht. Die Frau hatte jedes Recht, ein Kind von einem landesweit gesuchten Kriminellen wegzugeben. Sie hätte das Baby von Finn MacCauley genauso gut abtreiben lassen können. Dann gäbe es dich heute gar nicht.
Trotzdem, dachte Devyn trotzig, vielleicht … vielleicht sollten sie darüber reden. Aber zunächst musste Sharon schleunigst erfahren, dass ihr Geheimnis kein Geheimnis mehr war. Im Übrigen war die junge Frau gespannt darauf, ihre leibliche Mutter kennenzulernen.
Wieder erhellte ein Blitz die Nacht, fast augenblicklich gefolgt von einem jähen Donnerschlag. Devyn kroch eine eisige Gänsehaut über den Rücken, obwohl es im Wagen angenehm warm war. Sie hasste Gewitter.
Als ihre Augen sich allmählich an die Dunkelheit gewöhnten, inspizierte sie durch die Windschutzscheibe das große Frontfenster, neun in weiße Holzrahmen gefasste Glasscheiben, die Jalousien dahinter dicht geschlossen. Aus den Regenrinnen gurgelte das Wasser in die matschig aufgeweichte Zufahrt.
Devyns perfekte Neuengland-Manieren appellierten an ihr Gewissen. Eine Dame rief an, bevor sie vorbeikam.
Okay, kein Problem. Devyn nahm ihr Handy und drückte auf Kontakte, da sie die Nummer in der Wartezeit am Logan Airport einprogrammiert hatte. Wo sie innerlich mit sich gekämpft hatte, ob sie ihren idiotischen Plan nicht besser sausen lassen und wieder nach Hause fahren sollte. Aber der Wunsch siegte über die Vernunft, und sie war am Flughafen geblieben, hatte die verspätete Maschine genommen und … jetzt gab es kein Zurück mehr.
Mit ihrem Anruf würde sie Sharon höchstwahrscheinlich wecken und ihr ein bisschen Zeit geben, um sich auf Devyns nächtlichen Überfall vorzubereiten. Dann war der Schock nicht so groß. Das schien ihr nur fair.
Devyn sah, wie die Worte auf dem winzigen Display aufleuchteten: Verbindung herstellen Dr. Sharon Greenberg.
Oh, Gott.
Das vierte Klingeln wurde mittendrin unterbrochen, und die Mailbox sprang an. Devyn presste sich das Telefon fest ans Ohr, um den Regen auszublenden, der unablässig auf das Auto prasselte. Gleich würde sie die Stimme ihrer leiblichen Mutter zum ersten Mal hören.
»Hey, hier ist Shar. Leider kann ich Ihren Anruf nicht persönlich entgegennehmen, aber tun Sie sich keinen Zwang an, ich komme auf Sie zurück. Hinterlassen Sie eine Nachricht, versuchen Sie’s in meinem Büro, schicken Sie mir ’ne SMS oder Rauchzeichen. Tschüssi.«
Devyn drückte die Beenden-Taste und steckte das Telefon wieder in ihre Handtasche. Sie starrte auf das dunkel verschattete Haus, ihr Herz trommelte mit dem Rhythmus des Regens um die Wette. Schnell. Heftig. Laut.
Sollte sie einen Rückzieher machen? Vor einer Frau, die Anrufer dazu aufforderte, Rauchzeichen zu schicken, und die das Leben offenbar mit Humor nahm? Aber bedeutete das auch, dass sie ein Herz hatte?
Wie dem auch sein mochte, sann Devyn, Sharon musste erfahren, dass ihr dunkelstes Geheimnis möglicherweise in die falschen Hände geraten war. Das konnte ihrer Karriere schaden … oder Schlimmeres.
Also tu ich ihr letztlich bloß einen Gefallen, beruhigte Devyn ihr Gewissen.
Sie schnappte sich ihre Handtasche vom Beifahrersitz, drückte die Wagentür auf und war klatschnass, ehe sie die drei Steinstufen zu dem überdachten Hauseingang hochgelaufen war. Sie riss kurz entschlossen die Fliegengittertür auf und klopfte hart an die Haustür.
Sie zählte bis fünfzehn, dann klopfte sie erneut. Halb enttäuscht, halb genervt hämmerte sie mit der Faust auf die Tür, in ihrer Kehle ein Riesenkloß. Ihr war zum Heulen zumute.
»Bitte Sharon, tu mir den Gefallen und sei zu Hause«, murmelte sie beschwörend. Als es abermals blitzte und donnerte, umkrampfte sie mit der Hand den bombastischen Messingtürklopfer wie einen rettenden Anker und japste dabei panisch nach Luft.
Die Tür sprang auf.
Devyn zog intuitiv die Hand zurück, als sie merkte, dass die Tür unverschlossen war. Sie fasste sich ein Herz und drückte sie ein Stückchen weiter auf.
»Dr. Greenberg?«, rief sie, während sie unschlüssig im Türrahmen stehen blieb und in die Dunkelheit blinzelte. »Sind Sie da, Dr. Greenberg?«
So hatte sie sich ihre erste Begegnung wahrlich nicht vorgestellt.
Im Innern war es stockfinster, der süßliche Geruch von Duftkerzen und Blütenpotpourri vermischte sich mit muffiger abgestandener Luft.
»Dr. Greenberg, sind Sie zu Hause?«
Offenbar nicht. Devyn, ganz Tochter ihres Vaters, der einst
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