Gucci war gestern
Deiner Webadresse rausgekramt habe (wobei, den habe ich eher zufällig gefunden und wusste gar nicht mehr, dass es Deine ist), also habe ich mich reingeklickt. Nur ein paar kurze Bemerkungen dazu, wenn ich darf -
Ehre, wem Ehre gebührt: Hut ab vor deinem Alter Ego, dass sie nach fast zwei Jahren ohne Job noch nicht restlos verbittert ist. Hähä.
Vielleicht greifst Du mit einem Job als Verkäuferin nach den Sternen. Es gibt jede Menge Angebote im Fast-Food-Bereich mit der Chance, eines Tages ins mittlere Management aufzusteigen.
Ich habe nicht Deine ganze Webseite lesen können (vor allem nicht den Artikel über Peggy Noonan, und dazu möchte ich sagen, neben der Bibel auf meinem Nachtschränkchen steht
eine Ausgabe von Peggy Noonans Buch über Ronald Reagan), und zwar weil ich arbeiten muss und ganz bestimmt nicht so viel Zeit habe, das ganze Ding durchzugehen. (Morgen lasse ich mir von meiner Sekretärin eine kurze schriftliche Zusammenfassung Deiner Webseite machen.) Halte Dich doch am besten an George Orwells sechs Regeln für gutes Schreiben - 1. Nie ein langes Wort benutzen, wenn es auch ein kurzes tut. - 2. Wenn man das Wort weglassen kann, sollte man es weglassen, etc.… Das würde die ganze Sache etwas verknappen und man wäre schneller durch mit Lesen.
Denk dran, wenn Du nach fünf Jahren noch immer keine richtige Arbeit gefunden hast: Du lebst in Chicago, wo Schnorren nicht bloß eine Alternative, sondern eine Lebensart ist. Deine Schreibe ist ganz ordentlich und unterhaltsam. Wobei Stephen King trotzdem die große Ausnahme ist, was den finanziellen Erfolg von Schriftstellern angeht (zumindest zu Lebzeiten). Solltest Du als erfolgreiche Autorin anerkannt werden, wirst Du entweder verhungern oder irgendwer bewirft Dich mit Dreck und Du endest wie Bob Greene, Oprah Winfreys Fitnesstrainer, wirst mit eingezogenem Schwanz aus der Literaturszene verjagt, Dein Mann lässt sich scheiden, und Du siehst Dich einem unausweichlichen Gerichtsverfahren gegenüber. Jen, Al Gore hat das Internet erfunden. Es wird gnadenlos überschätzt. Wäre die letzte Staffel von Survivor nicht schon vorbei, gäbe es von The Bachelor nicht nur noch eine Folge, wäre Der Millionär nicht schon fast in Vergessenheit geraten, ich und der Rest der Welt würden heute Abend nicht am Rechner sitzen.
Engagiere Dich in Deiner Kirchengemeinde, hilf den Analphabeten, tu irgendwas.
Nette Webseite
Calvin, ein Freund von Deinem Bruder
PS: Kürzlich habe ich ein Managementunternehmen gegründet, um mein Portfolio von Geschäftsimmobilien zu managen. Wir suchen noch etliche Hausmeister für unsere Objekte. Du kannst gerne Deinen Lebenslauf einschicken, oder wir faxen Dir ein Bewerbungsformular. Abendschulabschluss oder Ähnliches erforderlich.
»Willst du darauf überhaupt antworten?«, fragt Fletch. Wir sind im Arbeitszimmer, und Fletch steht hinter mir und liest über meine Schulter Calvins E-Mail.
»Vielleicht. Als ich die das erste Mal gelesen habe, fand ich sie ganz witzig. Geht doch nichts darüber, einen alten Kumpel ein bisschen aufzuziehen, oder? Aber als ich mir das Ganze dann noch mal durchgelesen habe, ist mir aufgegangen, dass er mich absichtlich kränken wollte, und da bin ich richtig sauer geworden.«
»Ganz egal, ob ihr euch noch von früher kennt oder nicht, niemand hat das Recht, so mit dir zu reden. Wenn du antwortest, was willst du ihm denn dann schreiben?«
»Darüber denke ich gerade nach. Wenn mir was einfällt, lasse ich es dich erst lesen, ehe ich es wegschicke.« Fletch verschwindet, um mit den Hunden eine Runde zu drehen.
Ich schnappe mir ein Dr. Pepper light und ein Glas voller Eiswürfel und richte mich vor dem Rechner ein, um eine schlagfertige Erwiderung zu zimmern. Während ich an der perfekten Retourkutsche bastele, muss ich an alte Zeiten denken.
Calvin war in derselben Studentenverbindung wie mein Bruder. Seit der Hochzeit meines Bruders vor beinahe zehn Jahren, bei der er Trauzeuge war, habe ich ihn nicht mehr gesehen. Cal und die anderen geladenen Verbindungsbrüder haben sich bei der Trauung allesamt gründlich danebenbenommen. Zum Glück waren sie so betrunken, dass keiner von ihnen es bis zur eigentlichen Hochzeitsfeier geschafft hat.
Todds Hochzeit war deshalb so wichtig, weil sie eine Art Wendepunkt in meinem »Verhältnis« zu Calvin und der restlichen Crew markierte. Es war nämlich so: Als ich damals als junges, naives Gör ans College kam, war ich von beinahe allem ganz schwer
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