Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
war es nicht abzulesen.
»Darf ich rauchen?«
»Ja. Aber wenn du gehst, sag Maria Teresa bitte, dass du es warst. Wegen des Geruchs, du weißt schon. Seit ich mit dem Rauchen aufgehört habe, kontrolliert sie mich wie ein Offizier von der Heilsarmee.«
Natsu deutete ein Lächeln an. Dann zündete sie sich eine Zigarette an und rauchte sie zur Hälfte auf, bevor sie wieder etwas sagte.
»Ich versuche oft, mir vorzustellen, wie es zwischen uns hätte sein können. Unter anderen Umständen.«
Ich sagte nichts und versuchte, ein ausdrucksloses Gesicht beizubehalten. Ob mir das gelang, weiß ich nicht, aber die Mühe wäre auch so vergeblich gewesen, denn sie sah mich gar nicht an. Ihr Blick ging in die Ferne, tief in sich hinein und weit aus diesem Zimmer hinaus.
»Oft denke ich auch an die Nacht, als du zu mir nach Hause gekommen bist. Als Midori den Albtraum hatte und du ihre Hand gehalten hast. Es ist komisch, weißt du. Wenn ich an dich denke, kommt mir vor allem diese Nacht in den Sinn. Viel mehr als die anderen Male, die wir zusammen waren, ich meine, bei dir zu Hause.«
Na toll. Eine überflüssige Präzisierung, die meinem männlichen Stolz ungeheuer schmeichelt, dachte ich. Sagte es aber nicht.
Ich antwortete ihr, dass es mir ähnlich gehe und dass mir neben dieser Nacht immer der Sonntagvormittag im Park einfalle. Sie nickte, als hätte ich etwas gesagt, das sie bereits wusste. Etwas, dem keiner von uns beiden noch etwas hinzufügen konnte.
»Ich muss dir noch eine Frage stellen, Guido, und du musst mir die Wahrheit sagen.«
Ich sagte, stell sie mir, die Frage, und musste dabei an etwas denken, was ich vor vielen Jahren in einem Buch über Paradoxe gelesen hatte, es kam mir einfach so in den Sinn, ich weiß auch nicht, warum.
Wenn man die Buchstaben des italienischen Wortes »la verità«, die Wahrheit, umstellt, kommt das Anagramm »relativa« dabei heraus.
La verità-relativa. Die relative Wahrheit.
»Ist Fabio unschuldig? Jetzt einmal abgesehen von dem ganzen Prozess, den Unterlagen, deinen Nachforschungen, der Verteidigung. Ich möchte wissen, ob du von seiner Unschuld überzeugt bist. Ich möchte wissen, ob er mir die Wahrheit gesagt hat.«
Nein, das darfst du mich nicht fragen. Diese Frage kann ich dir nicht beantworten. Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich hat er die Wahrheit gesagt, aber ausschließen kann ich nicht, dass er mit Romanazzi, Macrì und wer weiß was für Dealern noch unter einer Decke gesteckt hat. Ich kann nicht einmal ausschließen, dass er früher noch viel schlimmere Dinge getan hat, etwa als jugendlicher Faschist, um nur mal ein Beispiel zu nennen.
Eigentlich hätte ich ihr genau so antworten müssen und ihr sagen müssen, dass es nicht zu meinen Aufgaben als Anwalt gehörte, herauszufinden, ob ein Mandant die Wahrheit sagte. Aber es gab auch andere Dinge, die nicht zu meinen Aufgaben als Anwalt gehörten und die ich trotzdem getan hatte.
»Dein Mann hat dir die Wahrheit gesagt.«
Im nächsten Augenblick sah ich unsere Lebensbahnen, die sich für eine kurze Zeit berührt hatten, auseinanderdriften und unterschiedlichen Punkten im Raum zustreben, wobei sie sich immer noch weiter voneinander entfernten. Es vergingen ein paar Minuten, ohne dass einer von uns beiden etwas sagte. Vielleicht empfand sie etwas Ähnliches, vielleicht dachte sie auch nur über die Antwort nach, die ich ihr gegeben hatte.
»Dann sehen wir uns morgen im Gerichtssaal?«
»Ja«, erwiderte ich.
Morgen, im Gerichtssaal. Sagte ich noch einmal, laut in den Raum hinein, als sie gegangen war.
45
D er stellvertretende Generalstaatsanwalt an diesem Vormittag war erneut Montaruli.
Zwei Sitzungen für den schlechtesten, zwei für den besten Staatsanwalt dachte ich, ohne mich groß um Originalität zu bemühen.
Eigentlich hätte ich die Hände überm Kopf zusammenschlagen müssen. Jetzt musste ich auch noch vor dem Plädoyer des Staatsanwalts zittern. Wäre Porcelli oder ein anderer seines Kalibers erschienen, hätte ich diese Sorge nicht gehabt. Ich kenne Staatsanwälte, die stehen auf, wenn ihnen der Richter das Wort erteilt, sagen: »Das angefochtene Urteil wird bestätigt«; und glauben, sich damit ihr Gehalt verdient zu haben.
Einige von ihnen bringen es sogar fertig, sich über zu viel Arbeit zu beklagen.
Montaruli gehörte, obwohl er so müde und desillusioniert war wie alle andern, nicht zu diesem Schlag. Eigentlich hätte ich bei seinem Anblick die Hände überm Kopf zusammenschlagen
Weitere Kostenlose Bücher