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Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Titel: Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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erzählt. Und es ist gut möglich, dass dieser Romanazzi auf die eine oder andere Weise in den Drogenschmuggel verwickelt war, der uns in diesem Prozess beschäftigt.
    Dennoch ist kein einziges der Beweismittel, die auf Antrag der Verteidigung in zweiter Instanz zugelassen wurden, unvereinbar mit dem ursprünglichen Erklärungsmodell der Anklage. Nehmen wir einmal an, Romanazzi war wirklich an der Einfuhr des Kokains beteiligt; nehmen wir einmal an, diese Vermutung – und mehr als eine, wenn auch vernünftig klingende Vermutung ist es ja nicht – stimmt. Würde das den Angeklagten entlasten?
    Müsste der Umstand, dass Paolicelli nach seiner Verhaftung von einem Anwalt vertreten wird, der Herrn Romanazzi sehr gut zu kennen scheint, bei genauem Hinsehen nicht sogar als weiteres Indiz für die Zugehörigkeit Paolicellis zu einer kriminellen Vereinigung gewertet werden, einer Bande, die perfekt organisiert und gegliedert ist und es wie alle Vereinigungen dieser Art vermag, ihren in Schwierigkeiten geratenen Mitgliedern einen Rechtsbeistand zu stellen?
    Lassen Sie mich noch eine Hypothese aufstellen. Paolicelli und Romanazzi fahren mit derselben Fähre, weil sie Komplizen sind und den Transport des Kokains gemeinsam durchführen. An der Grenze wird Paolicelli von der Polizei abgefangen. Romanazzi möchte ihm helfen, und er tut es auf die einzige ihm mögliche Weise, denn er kann ja schlecht das Polizeirevier überfallen und seinen Freund befreien. Er schaltet seinen Vertrauensanwalt ein, den Mann also, der – rein hypothetisch – den Bandenmitgliedern zur Seite steht, wenn sie Probleme mit der Justiz haben.«
    Er hielt einen Moment inne, um Atem zu schöpfen. Dass er sich dabei auch sammelte, glaube ich nicht, denn er machte bereits einen sehr konzentrierten Eindruck.
    »Lassen Sie mich noch einmal in aller Deutlichkeit meinen Standpunkt klären, Hohes Gericht. Ich behaupte nicht, dass es unbedingt so gelaufen ist, denn ich habe gar nicht genügend Elemente an der Hand, um das behaupten zu können. Ich sage nur, es könnte so gelaufen sein. Ich sage, es ist eine plausible Vermutung – alle Beweisfaktoren, die im Lauf dieses Berufungsprozesses auf Antrag der Verteidigung neu hinzugekommen sind, lassen sich anhand ihrer perfekt in die ursprüngliche Hypothese der Anklage einbauen. Es ist eine Vermutung, die mindestens ebenso plausibel ist wie die, welche uns in Kürze der Verteidiger des Angeklagten in seinem Plädoyer vortragen dürfte.
    Mindestens ebenso plausibel sage ich, um mich vorsichtig auszudrücken. In Wirklichkeit ist diese Vermutung sehr viel plausibler als die Hypothese eines Komplotts oder irgendwelcher Machenschaften zu Lasten Paolicellis.
    Wir haben also, und damit komme ich zum Abschluss, zwei Erklärungsmodelle für die Faktoren, die während dieses Berufungsprozesses neu hinzugekommen sind. Eines davon ist perfekt vereinbar mit der erdrückenden Beweislage, die bereits in erster Instanz festgestellt wurde, und würde somit auf eine Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils hinauslaufen.
    Das andere – das, von dem der Verteidiger Sie zu überzeugen versuchen wird – basiert auf einer Reihe von Konstruktionen, die durchweg seiner Phantasie entsprungen sind. Was Herr Guerrieri Ihnen anbieten wird, um auf Freispruch für seinen Mandanten plädieren zu können, sind keine irgendwie begründeten Zweifel. Es sind – gestatten Sie mir den Terminus – phantastische Zweifel, Zweifel, die einzig von seiner Phantasie und nicht durch stichhaltige Beweise genährt werden.
    Ich bin mir sicher, dass der Verteidiger in der Lage sein wird, Ihnen seine phantasievolle Rekonstruktion des Tathergangs auf höchst eindrückliche und verlockende Art und Weise zu präsentieren. Umso eindringlicher bitte ich Sie, das Prinzip der stichhaltigen Beweisführung im Auge zu behalten – alles andere würde der Willkür Tür und Tor öffnen.
    Und im Namen dieses Prinzips ersuche ich Sie, das Urteil aus erster Instanz zu bestätigen.«

46
    Zeitlupe.
    Ein Fotogramm nach dem andern.
    Der Staatsanwalt beendet seinen Schlussvortrag und setzt sich. Der Richter fordert mich auf, mit meinem Plädoyer zu beginnen. Ich zögere kurz, erhebe mich, rücke mir mit den gewohnten Handgriffen die Robe auf der Schulter zurecht. Danach rücke ich auch noch den Knoten meiner Krawatte zurecht. Ich nehme das Blatt mit meinen Notizen zur Hand, überlege es mir dann aber anders und lege es wieder zu den übrigen Papieren auf die Bank. Ich schiebe den

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