Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
sie sicher, dass es ein Fehler wäre, darüber zu reden. Sie seufzte noch einmal. Lauter diesmal und mit einem lauten Ausatmen. Ärgerlich. Ich ertappte mich bei einem Blick auf ihre Brust, die sich beim Atmen dehnte und das Kleid und die Jacke ausfüllte. Du alter Spanner.
»Michele hat mir nie gefallen. Und vielleicht bin ich deshalb voreingenommen gegen ihn. Allerdings …«
»Allerdings?«
»Allerdings hat er sich wirklich schrecklich benommen.«
»Inwiefern?«
»In jeder Hinsicht. Er ist ein brutaler Kerl und meiner Meinung nach auch ein Dummkopf. Als die beiden sich getrennt haben und sie wieder zu sich gekommen ist, sagte Manuela, dass er vulgär ist. Das kann ich mir gut vorstellen.«
»Aber wenn er so ist, wieso war Manuela dann überhaupt mit ihm zusammen? Und dann noch so lange Zeit? Apropos, wie lange waren die beiden überhaupt zusammen?«
»Ich weiß es nicht genau. Als ich Manuela kennenlernte, waren sie schon zusammen. Vor einem Jahr haben sie sich getrennt, oder vielmehr, Manuela hat ihn verlassen. Aber er hat es nie akzeptiert. Er hat sie monatelang verfolgt. Unglaublich! Der große Michele Cantalupi wird von einem Mädchen verlassen.«
»Sie haben mir nicht gesagt, was Manuela an diesem Typen fand. Welche Information geht mir da ab?«
»Was Sie nicht wissen können, ist, dass dieser Scheißkerl fantastisch gut aussieht. Das ist der Grund, warum er so viel Schaden anrichten kann. Der Typ sieht besser aus als Brad Pitt.«
Ich verstummte einen Moment und setzte eine nachdenkliche Miene auf, als verdiene die Information über Cantalupis Aussehen besondere Aufmerksamkeit. Abschließend nickte ich langsam, als hätte ich einen sehr schwierigen Sachverhalt verstanden. Ich sah sie wieder an. Sie saß ordentlich auf ihrem Stuhl, aber sie nahm den ganzen Raum ein. Auf ihrer Oberlippe bemerkte ich winzige Schweißperlen.
»Was arbeitet dieser Herr denn?«
»Nichts. Nicht wirklich jedenfalls. Er vögelt alles, was ihm über den Weg läuft, spielt Karten, studiert nicht Wirtschaftsrecht und … das wär’s.«
Sie hatte sich unterbrochen, bevor sie noch etwas sagen konnte. Sie hatte sich zurückgehalten, das merkte ich ganz deutlich. Es gab etwas, was sie mir nicht gesagt hatte und worüber sie nicht sprechen wollte. Oder vielleicht wollte sie es und wollte es auch nicht. Ich musste darauf zurückkommen, aber nicht sofort.
»Du sagtest, er sei gewalttätig. Ist das der Grund, weshalb du vermutet hast, dass er etwas mit Manuelas Verschwinden zu tun haben könnte? Oder dachtest du an etwas Spezielles?«
»Nein. Nichts Spezielles. Als ich erfuhr, dass Manuela irgendetwas passiert ist und man nicht wusste, was passiert ist, war er die erste und einzige Person, die mir in den Sinn kam.«
»Als sie ihn verlassen hat, hat er sie eine Weile verfolgt, sagtest du?«
»Ja, Anrufe, Mails, Bitten, wieder zusammenzukommen. Auch Nachstellungen. Er ist zwei Mal nach Rom gekommen, einmal um ihr eine Szene auf der Straße zu machen, sie haben sich geprügelt, er hat sie geschlagen, sie hat sich gewehrt, dann sind wir dazwischengegangen …«
»Wer war alles dabei?«
»Ich und zwei Freunde.«
»Wie lange hat er sie verfolgt?«
»Monatelang. Ich weiß nicht mehr, wie viele.«
»Im Protokoll habe ich gelesen, was er den Carabinieri gesagt hat. Er gab zu, dass die Beziehung stürmisch geendet hatte, aber er sagte auch, dass sich die Lage schließlich beruhigt habe und dass die Beziehung beinahe normal war, freundschaftlich.«
»Freundschaftlich würde ich nicht gerade sagen. Aber es stimmt, dass er aufgehört hatte, sie anzurufen und zu treffen. Manuela meinte, er habe vermutlich ein neues Opfer gefunden.«
»Stimmt das?«
»Ich weiß es nicht. Ich glaube, dass auch Manuela es nicht wusste und dass es ihr herzlich egal war.«
»Vorher, als ich dich gefragt hatte, was Michele so macht, wolltest du etwas hinzufügen, was du dann doch nicht gesagt hast.«
»Wann?«
»Du hast etwas gesagt und dann plötzlich innegehalten. Caterina, was wir uns hier sagen, ist vertraulich, aber ich muss unbedingt alles wissen. Vielleicht hat es nichts mit Manuelas Verschwinden zu tun, aber ich muss es wissen.«
Jetzt wirkte sie verlegen, so als sei ihr die Situation entglitten und als habe sie Angst, etwas falsch zu machen. Sie überlegte, wie sie sich herauswinden könnte. Mir fiel ein, was Anita mir über die Drogen gesagt hatte, die bei den Trulli im Umlauf waren. Ich dachte mir, dass Fragen nichts kostete,
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