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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Timing zu mir und gab mir einen Kuss auf die Wange. Ganz leicht, ganz unschuldig. So unschuldig, dass ich eine Gänsehaut bekam.
    Als sie fort war, versuchte ich zu arbeiten. Es gelang mir nicht, und ohne dass ich es merkte, fand ich mich mitten in einer Assoziationskette wieder, die einerseits sehr fantasievoll war, andererseits auch vorhersehbar. Ich überlegte, welches Hotel passend wäre, falls wir wirklich in Rom übernachten mussten. Natürlich würde ich zwei Zimmer nehmen, das war selbstverständlich. Dann überlegte ich – ganz vorbildlich und gar nicht wie ein alter Lüstling –, dass es ja auch ganz nett sein könnte, einen Abend mit einem hübschen Mädchen zu verbringen. Wenn man bei der Arbeit auch ein wenig Spaß hat, ist das doch kein Verbrechen. Ich meine, wir haben es hier nicht mit einer Minderjährigen zu tun. Ich könnte ein schönes Restaurant aussuchen, mit einem guten Weinkeller, und so weiter. Das bedeutet ja nicht, dass ich über sie herfallen muss, so einer bin ich nicht, sagte ich laut, während meine Beine kürzer wurden und meine Nase immer länger.

23
    A ls ich am nächsten Morgen mein Handy einschaltete, fand ich eine SMS von Caterina. Sie schrieb, dass sie mit Nicoletta gesprochen und sich mit ihr für den folgenden Nachmittag verabredet hatte. Das bedeutete, dass ich keinen Hin- und Rückflug für denselben Tag nehmen konnte und dass ich mich auch um die Übernachtung kümmern musste. Genau das hatte ich auch erwartet, aber ich tat so – auch mir selbst gegenüber, das heißt vor einem Publikum, das man leicht hinters Licht führen konnte –, als wäre ich ein wenig erstaunt über die Nachricht und über die Folgen, die sie mit sich brachte.
    Dann erstickte ich jeden Anflug von Aufrichtigkeit im Keim und machte mich fertig. Um acht sollte mein Mandant mich abholen, Herr De Santis, den ich bei der Verhandlung an jenem Morgen in Lecce vertreten sollte.
    Herr De Santis war ein Bauunternehmer, ein Selfmademan, wie man so sagt. Er hatte mit vierzehn als Handlanger auf dem Bau angefangen und war dann nach und nach, ohne sich von Banalitäten wie Steuern, Sicherheitsvorschriften oder baurechtlichen Vorschriften behindern zu lassen, sehr reich geworden. Er war gedrungen, hatte leichte Glupschaugen, einen scheckig gefärbten Schnurrbart, der wie angeklebt wirkte, und Haare, die verdächtig nach Transplantation aussahen. Er verströmte den Duft eines Rasierwassers aus den Fünfzigerjahren.
    Er war angeklagt – zu Unrecht, wie er fand –, ohne Genehmigung eine Siedlung in einem Naturschutzgebiet gebaut und zu diesem Zweck Beamte bestochen zu haben. Seine Interpretation des gerichtlichen Vorgehens war die, dass es sich um das Komplott einer Bande von kommunistischen Richtern handelte.
    Meine Interpretation war, dass er ebenso schuldig war wie Al Capone und dass ich, falls es mir gelang, ihn freisprechen zu lassen (was nebenbei bemerkt höchst unwahrscheinlich war), früher oder später Schwierigkeiten mit der Obrigkeit bekommen würde.
    Er hatte darauf bestanden, dass wir zusammen in seinem Wagen nach Lecce fuhren, einem Lexus, der so viel kostete wie ein Apartment und ungefähr genauso groß war, aber schon nach kurzer Zeit bereute ich, die Einladung angenommen zu haben. De Santis fuhr so kontrolliert, umsichtig und präzise wie ein Taxifahrer aus Bombay, während der Soundtrack ausschließlich aus italienischen Hits der Siebzigerjahre bestand. Derselben Musik, die die Amerikaner in Guantanamo einsetzten, um Geständnisse aus hartgesottenen Al-Qaida-Gefangenen herauszupressen.
    Wir fuhren auf der Schnellstraße, und De Santis pendelte sich bei hundertsiebzig Stundenkilometern ein, immer auf der Überholspur. Wenn das Auto vor ihm nicht schnell genug nach rechts auswich, setzte De Santis eine Hupe ein, die wie das Tuten eines Hafenschleppers klang, sowie eine Scheinwerferanlage, die an einen amerikanischen Rettungswagen erinnerte.
    Hör mal zu, du durchgeknallter Affe, du fährst gefälligst langsamer, denn ich habe keine Lust, jung zu sterben.
    »Herr De Santis, warum fahren Sie nicht ein wenig langsamer? Wir liegen doch perfekt in der Zeit.«
    »Ich habe ein Faible für Geschwindigkeit, Herr Anwalt, Sie werden doch keine Angst haben? Diese Hure schafft bis zu zweihundertdreißig Stundenkilometer.«
    Das glaube ich unbesehen. Fahr langsamer, du alter Sack.
    »Ich habe zwei Leidenschaften: diese …« Er klopfte aufs Lenkrad. »… und die Weiber. Wie alt sind Sie, Herr

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