Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
Vom Netzwerk:
war, nicht bei dem, bei dem ich normalerweise meine Reisen buchte. Ich buchte zwei Hin- und Rückflugtickets nach Rom, reservierte zwei Zimmer in der Nähe der Piazza del Popolo, erklärte der Angestellten, der das herzlich egal war, dass es sich um eine Dienstreise mit einer Mitarbeiterin handelte, und merkte schließlich, dass ich mich wie ein Krimineller benahm, der sein Abtauchen organisiert.
    Als ich das Reisebüro verließ, rief Quintavalle an.
    »Guten Abend, Herr Anwalt.«
    »Guten Abend, Damiano, gibt es Neuigkeiten?«
    »Ich habe ein paar Informationen, die für Sie interessant sein könnten.«
    »Erzähl.«
    Er blieb stumm, und mir wurde klar, was für eine Dummheit ich gesagt hatte. Ich musste daran denken, wie ich immer über die Leute gelächelt hatte, die am Telefon Dinge sagten, die sie lieber für sich behalten hätten, und die deshalb in Handschellen endeten.
    »Wollen wir uns treffen und uns in Ruhe unterhalten?«
    »Soll ich in Ihre Kanzlei kommen?«
    »Ich bin unterwegs, in der Nähe des Corso Sonnino. Wenn es dir passt und du nicht ganz woanders bist, könnten wir uns hier in der Gegend treffen, in einer Bar zum Beispiel.«
    »Ich bin mit der Vespa unterwegs. Sagen wir, in zehn Minuten im Riviera?«
    »Okay.«

24
    W enige Minuten später war ich in der Riviera-Bar, die zu dieser Tageszeit halbleer war. Ich setzte mich an einen Tisch im Zwischengeschoss, von wo aus man das Meer bis zum Horizont sehen kann. Es war derselbe Tisch, an dem ich früher mit meinen Freunden ganze Nachmittage verbracht hatte, bei nicht enden wollenden, sinnlosen, wundervollen Gesprächen.
    Vor allem einer dieser Nachmittage kam mir jetzt in den Sinn. Wir waren nach dem Seminar über Wirtschaftspolitik eine halbe Stunde herumgebummelt und schließlich im Riviera gelandet. Ich bin sicher, dass wir wie immer zuerst über Mädchen redeten; dann gingen wir – warum, weiß ich nicht mehr – dazu über, mit Romanfiguren zu spielen: Mit wem wir uns am meisten identifizierten, wer wir gern wären. Andrea nannte Athos, bei Emilio war es Marlowe, ich sagte Kapitän Fracasse, Nicola meinte schließlich, er wolle auch Athos sein. Das löste eine lebhafte Diskussion darüber aus, wer von den beiden mehr Anrecht auf die Rolle des Grafen de la Fère habe. Andrea war der Meinung, dass Nicola aufgrund der übertriebenen Verwendung von Parfüm höchstens Aramis sein könne, aber im Grunde, wenn man ganz ehrlich war, am meisten Milady glich. Diese Bemerkung heizte die Diskussion noch mehr an, und Nicola hielt dagegen, dass Zweifel an seiner Männlichkeit in allen Einzelheiten nicht nur von seiner Mutter ausgeräumt werden könnten, sondern auch von Andreas Schwester.
    Ich schloss die Augen und meinte, unsere Stimmen zu hören, die vom Archiv meiner Erinnerung unversehrt und lebensecht wiedergegeben wurden. Emilios tiefe Stimme, Nicolas näselnde, die hastige, sich manchmal ein wenig überschlagende Stimme Andreas, meine eigene, die ich noch nie einordnen konnte – sie erfüllten die Luft in jenem leeren Saal und erinnerten mich daran, dass es Geister gibt und dass sie unter uns sind.
    Diese Erinnerung hätte mich wehmütig stimmen sollen, doch stattdessen versetzte sie mich in eine leichte, nicht zu erklärende Erregung, so als sei die Vergangenheit plötzlich doch nicht vergangen, sondern Teil einer Art von erweiterter Gegenwart, die uns liebevoll mit einschließt. Während ich in dieser Bar saß und auf einen Kokaindealer wartete, hatte ich einen Augenblick lang das Gefühl, das Mysterium der Gleichzeitigkeit von Gegenwart und Erinnerung zu spüren.
    Dann kam der Dealer und der merkwürdige Zauber verschwand von einem Moment auf den anderen.
    Wir bestellten zwei Cappuccino und warteten, bis der Kellner sie uns gebracht hatte und wieder im unteren Raum verschwunden war. Erst dann sprachen wir.
    »Also, Damiano?«
    »Ich habe mich ein wenig umgehört und vielleicht etwas gefunden.«
    »Erzähl.«
    »Es gibt da einen Typen, einen Schwulen, der in Diskotheken dealt. In Wirklichkeit ist er ein Mittelding zwischen Pusher und Konsument: Er verkauft das Zeug vor allem, um seinen Eigenbedarf zu finanzieren. Er hat mir erzählt, dass er einen Michele kennt, der oft Kokain hat. Er sagte, dass er mehrmals kleine Mengen bei ihm gekauft und auch manchmal etwas an ihn verkauft hat. Das ist oft so bei kleinen Dealern: Sie wechseln sich ab – wenn einer was hat, verkauft er es dem anderen, und umgekehrt.«
    »Warum glaubst du, dass das der Michele

Weitere Kostenlose Bücher