Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde
Anwalt?«
»Fünfundvierzig.«
»Sie haben’s gut. Ich bin einundsiebzig. In Ihrem Alter habe ich nichts anbrennen lassen.«
»Was meinen Sie damit?«
»Die Weiber, was sonst? Mir ist keine ausgekommen. Das Hausmädchen nicht. Die Sekretärin nicht. Die Freundin meiner Frau nicht. Auch eine Nonne war mal darunter. Ich war … wie soll ich sagen … gnadenlos.«
Und gnadenlos bist du geblieben, dachte ich, während ich mir ausmalte, was mich in den nächsten vier Stunden noch alles erwartete.
»Nicht, dass ich es ganz aufgegeben hätte, ich schlage schon noch öfters zu, aber früher …«
Er verwendete nicht genau diese Worte. Er war deutlicher und zeigte auf das Instrument, mit dem er zuschlug. Ich nickte verständnisvoll und töricht, während ich die Vorstellung von mir selbst wegzuschieben versuchte, wie ich als Einundsiebzigjähriger mit gefärbtem Schnurrbart damit prahlte, wie ich noch zuschlagen konnte.
»Sie sind verheiratet, nicht wahr, Herr Anwalt?«
»Nein. Ich meine, ich war es und bin es nicht mehr.«
»Also sind Sie frei. Ein junger Spund wie Sie …«
Ich fürchtete, er würde mich gleich fragen, ob ich auch, nur als Beispiel, meine Zugehfrau nicht auskommen ließ. Bei der es sich in meinem Fall um die Signora Nennella handelte, eine stämmige Sechzigjährige, etwa eins fünfzig groß und mit einem wuchernden Brustgewebe, das jede denkbare Körbchengröße übertraf.
Die Vorstellung verursachte mir – ich muss es gestehen – eine gewisse Erregung. Ich beschloss, mich in eine Zen-Mönchszelle meines Kopfes zurückzuziehen und mich von allen Reizen der Außenwelt abzuschotten. Auf diese Weise würde alles vorbeigehen, ohne dass ich es merkte.
De Santis bemerkte mein Schweigen und dachte, es habe etwas mit gesundheitlichen Problemen zu tun. Mit meinem Geschlechtsorgan zum Beispiel.
»Sie werden doch da kein Problem haben, oder?«
»Was für ein Problem?«, antwortete ich und dachte, es wäre langsam an der Zeit, etwas wählerischer mit meinen Mandanten zu sein.
Der Gute wandte sich zu mir, wobei er das winzige Detail, dass wir mit hundertachtzig Stundenkilometern durch die Gegend rasten, völlig vergaß. Er sah nach unten, ungefähr auf die Höhe meines Sitzes, und zwinkerte mir verschwörerisch zu. Die Klänge der Teppisti dei Sogni breiteten sich im Inneren des Wagens aus wie Zuckerwatte.
»Alles in Ordnung, oder?«
Du alter Idiot, du bleibst jetzt an der ersten Haltemöglichkeit stehen und lässt mich aussteigen. Danach kannst du dann ruhig gegen einen Baum fahren oder einen Pfosten, Hauptsache, du verwickelst keine Unschuldigen in den Unfall.
Das sagte ich natürlich nicht.
»Keine Sorge, danke der Nachfrage.«
De Santis gab sich mit der Antwort nicht zufrieden und hakte nach.
»Ist es die Prostata? Haben Sie sich untersuchen lassen?«
»Ehrlich gesagt, nein.«
»Wenn Sie sich untersuchen lassen, ist sie bestimmt angeschwollen. Ich glaube ja, dass Sie sich nicht untersuchen lassen, weil Sie Angst vor der Untersuchung haben, weil dieser Typ, der Urologe, Ihnen einen Finger in den …«
»Danke, ich weiß, wie eine urologische Untersuchung abläuft.«
Ein paar Minuten Stille. Die Erwähnung des Themas Urologie hatte meinen Mandanten offensichtlich nachdenklich gemacht. Ich hoffte inständig, das Schweigen würde bis zum Ziel andauern. Falsch gedacht.
»Haben Sie es schon einmal mit Viagra probiert, Herr Anwalt?«
»Ehrlich gesagt, nein.«
»Ich habe es immer dabei, auch wenn mein Arzt sagt, dass ich es nicht übertreiben soll, weil es schlecht fürs Herz ist. Für mich wäre das der schönste Tod, den es gibt, und wenn ich schon einen Infarkt bekommen muss, dann wenigstens, während ich mit einer geilen Biene zugange bin.«
So ging das weiter bis Lecce, bis zum Eingang des Gerichts und bis zum Beginn der Verhandlung. Erst dann musste De Santis endlich den Mund halten. Wir hörten die Zeugenaussagen und den Sachverständigen der Staatsanwaltschaft, und schließlich wurde alles bis zur Vernehmung der Zeugen der Verteidigung vertagt. Mittlerweile war klar – falls irgendjemand noch daran gezweifelt hätte –, dass mein Mandant verurteilt werden würde. Im Interesse meines geistigen Wohls – wir hatten noch die ganze Rückfahrt vor uns – fand ich es jedoch ratsam, ihm diese Überzeugung nicht mitzuteilen. Dem Mann-dem-keine-auskam.
Als wir am Nachmittag endlich wieder in Bari waren, ließ ich mich vor einem Reisebüro absetzen, das weit genug von der Kanzlei entfernt
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