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Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde

Titel: Guido Guerrieri 04 - In ihrer dunkelsten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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ist, den wir suchen?«
    »Sie haben doch gesagt, dass Ihr Michele sehr gutaussehend ist?«
    »Das wird behauptet.«
    »Mein schwuler Freund meint, dass der Michele, den er meint, ein irrsinnig scharfer Typ ist, das waren seine Worte.«
    »Ich nehme an, dass er seinen Nachnamen nicht kennt.«
    »Nein, aber man könnte ihm ein Foto zeigen.«
    Richtig. Man musste ihm bloß ein Foto zeigen, und deshalb war es langsam an der Zeit, nicht noch länger herumzueiern, sondern sich endlich eines zu besorgen. Ich konnte Fornelli fragen. Oder vielleicht hatte ja auch Caterina eines, dachte ich. Da fiel mir ein, dass ich sie auf jeden Fall anrufen musste, um mich mit ihr wegen der morgigen Reise zu verabreden.
    »Herr Anwalt?«
    »Ja?«
    »Ich kann doch sicher sein, dass dieser Junge keine Unannehmlichkeiten hat wegen dem, was ich Ihnen gesagt habe?«
    »Wer? Dein schwuler Freund?«
    »Na ja, mein Freund ist er nicht direkt, aber ja, den meine ich.«
    »Mach dir keine Sorgen, Damiano. Mich interessiert nur eins: Ich will herausfinden, was mit Manuela passiert ist. Was mich angeht, haben wir beide nie miteinander gesprochen.«
    Quintavalle wirkte erleichtert.
    »Entschuldigen Sie, dass ich das gesagt habe, Herr Anwalt, aber …«
    Ich unterbrach ihn mit einer Handbewegung. Natürlich verstand ich seine Bedenken. Für jemanden wie ihn war allein die Tatsache, dass er Fragen stellte, gefährlich. Ich dankte ihm, sagte, dass ich mir ein Foto von Michele besorgen und mich dann wieder bei ihm melden würde. Dann kehrten wir beide zurück zu unserer Arbeit, so legal oder illegal sie auch sein mochte.
    Auf dem Weg zur Kanzlei rief ich Caterina an, teilte ihr mit, dass ich den Flug um elf für den nächsten Tag gebucht hätte und dass ich sie gegen halb zehn abholen würde. Ich fragte sie, ob die Adresse, die aus dem Vernehmungsprotokoll der Carabinieri war, stimmte, und sie bejahte, schlug aber der Einfachheit halber vor, dass wir uns vor dem Petruzzelli-Theater treffen sollten. Ich fühlte mich deutlich erleichtert bei der Vorstellung, sie nicht zu Hause abholen zu müssen, wo womöglich ihre Mutter oder ihr Vater – vermutlich in meinem Alter – mich sehen konnten, sofort begreifen würden, dass ihre Tochter sich mit einem alten Lustmolch traf, und dieses Treiben mit Schraubstöcken, Baseballschlägern und ähnlichen Instrumenten unterbinden würden.
    Als ich gerade auflegen wollte, fiel mir das Foto von Michele ein.
    »Ach, Caterina?«
    »Ja?«
    »Du hast nicht zufällig ein Foto von Michele Cantalupi?«
    Sie antwortete nicht sofort, und falls Schweigen Satzzeichen hat, war ihres von einem großen Fragezeichen untermalt.
    »Wozu brauchst du das?«, fragte sie schließlich.
    »Ich will es jemandem zeigen. Aber darüber sprechen wir lieber nicht am Telefon, ich erkläre es dir morgen. Meinst du, du findest eines?«
    »Ich sehe mal nach, aber ich glaube nicht, dass ich eines habe.«
    »Na gut, dann bis morgen.«
    »Bis morgen.«

25
    A ls ich wieder im Büro war, fielen die Dinge, die ich zu erledigen hatte, über mich her wie in einem Science-Fiction-Film. Eine schleimige, wabbelige Kreatur saugte mich auf und behielt mich bis zum späten Abend in ihrer Gewalt. Dann verlor sie endlich die Lust an mir und ließ mich gehen, nachdem sie mich physisch und moralisch halb verdaut hatte. Noch dazu musste ich, da die Reise nach Rom außerplanmäßig war, meine Termine verlegen und für die nächsten beiden Tage jemanden finden, der mich bei Gericht vertrat.
    Als ich erschöpft nach Hause kam, prügelte ich lediglich ein bisschen auf Mister Sandsack ein, um ihn meiner Freundschaft zu versichern; zu einem richtigen Training hatte ich keine Kraft mehr. Ich vergeudete mehr heißes Wasser als nötig bei einer endlos langen Dusche, während der die Badezimmertür offen stand und Bruce Springsteen durch die Wohnung dröhnte, und gegen elf saß ich schon wieder auf dem Rad. Ich trug meine alte Lederjacke, verwaschene Jeans und Turnschuhe und glich dem, was ich tatsächlich war: ein Mann, der die vierzig deutlich überschritten hat, sich jedoch wie ein Jugendlicher kleidet und glaubt, so die Zeit austricksen zu können.
    Ich sagte mir, dass ich das alles wusste und dass es mir nichts ausmachte. Obwohl ich den Mechanismus durchschaute, versetzte mich das Täuschungsmanöver trotzdem in gute Laune.
    Im Chelsea traf ich eine ganze Reihe von Stammgästen an, die mich ebenfalls erkannten. Einige grüßten mich flüchtig. Ich war dieser merkwürdige Typ, der

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