Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gullivers Reisen

Gullivers Reisen

Titel: Gullivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Swift
Vom Netzwerk:
näher und hob seine Vorderpfoten in die Höhe, vielleicht aus Neugier, vielleicht auch aus Bosheit. Ich aber zog meinen Hirschfänger und gab ihm einen derben Schlag mit der flachen Klinge. Mit der Schärfe wagte ich nicht zu schlagen, denn ich besorgte die Einwohner möchten gegen mich aufgereizt werden, wenn sie erführen, ich hätte ein Exemplar ihres Viehes getödtet oder verstümmelt. Als das Thier den Schmerz empfand, fuhr es zurück und brüllte so laut, daß eine Heerde von wenigstens vierzig Stück vom nächsten Felde her mich umschwärmte, laut heulte und mir boshafte Gesichter schnitt. Ich aber lief auf einen Baumstamm zu, lehnte meinen Rücken dagegen und wehrte die Thiere durch das Schwingen meines Hirschfängers ab. Mehrere Individuen dieses verfluchten Geschlechtes ergriffen die hinteren Zweige, sprangen auf den Baum und beschmutzten meinen Kopf mit ihrem Koth; ich kam übrigens noch gut davon, denn ich drückte mich dicht an den Stamm, ward aber beinahe von dem Gestank des Kothes erstickt, welcher an allen Seiten neben mir herabfiel.
    In meiner Noth bemerkte ich jedoch, wie sie plötzlich alle so schnell wie möglich davon liefen. Hierauf wagte ich es, den Baum zu verlassen und den Weg zu verfolgen, voll Erstaunen, was jene Thiere erschreckt haben könnte. Als ich aber linkshin umblickte, sah ich ein Pferd, welches langsam auf dem Felde spazieren ging; dies war aber die Ursache, weßhalb meine Verfolger flohen, als sie dies Thier erblickt hatten. Das Pferd fuhr ein wenig zurück, als es mich bemerkte, erholte sich jedoch bald von seinem Schrecken und sah mir in's Gesicht mit deutlichen Zeichen des Erstaunens. Es besah meine Hände und Füße und ging mehreremale um mich herum. Ich wollte meinen Pfad verfolgen; es stellte sich mir jedoch in den Weg, blickte mit sanftem Ausdruck und zeigte nicht die geringste Neigung zur Gewaltthätigkeit. Wir blieben stehen, indem wir eine Zeit lang einander ansahen; zuletzt war ich so kühn, meine Hand zu seinem Halse zu erheben, in der Absicht es zu streicheln, und pfiff dabei, wie dies Reitknechte zu thun pflegen, wenn sie ein fremdes Pferd behandeln müssen. Dies Thier aber schien meine Höflichkeit mit Verachtung anzunehmen, schüttelte sein Haupt, senkte seine Brauen und erhob sanft seinen Vorderfuß, um meine Hand zu entfernen. Alsdann wieherte es drei- oder viermal, jedoch in so verschiedenem Ton, daß ich auf den Gedanken kam, es spreche mit sich selbst in einer ihm eigenthümlichen Sprache.

    Als wir beide uns auf diese Weise mit einander abgaben, kam ein anderes Pferd hinzu. Dies begann in einer etwas förmlichen Weise sich an das andere zu wenden; alsdann berührten sie sanft ihre Vorderhufe, wieherten abwechselnd mehreremale und veränderten dabei den Ton, so daß dieses beinahe artikulirt zu seyn schien. Sie gingen einige Schritte zurück, als wollten sie sich mit einander berathen, spazierten nebeneinander her, rückwärts und vorwärts, wie Personen, die sich über eine wichtige Angelegenheit unterhalten, wobei sie häufig ihre Blicke auf mich hinwendeten; als wollten sie mich bewachen, damit ich nicht entwischte. Ich erstaunte, ein solches Benehmen bei unvernünftigen Thieren zu bemerken, und dachte bei mir selbst, wenn die Einwohner dieses Landes einen verhältnißmäßigen Grad von Vernunft besitzen, so müssen sie das weiseste Volk der Erde seyn. Dieser Gedanke gab mir so viel Trost, daß ich weiter zu gehen beschloß, bis ich ein Haus oder ein Dorf entdecken, oder mit den Eingeborenen zusammentreffen könnte, indem ich die beiden Pferde sich nach Belieben mit einander unterhalten ließe. Das erstere Pferd jedoch, welches eine scheckige graue Farbe hatte, wieherte, als ich mich fortstehlen wollte, in so ausdrucksvollem Tone, daß ich glaubte seinen Willen zu verstehen; deßhalb drehte ich mich um und ging auf dasselbe zu, um seine ferneren Befehle zu erwarten, indem ich jedoch meine Furcht so viel wie möglich zu verbergen suchte. Ich begann nämlich Besorgniß zu fühlen, wie dies Abenteuer enden würde, und der Leser wird sich leicht einbilden, daß ich mit meiner gegenwärtigen Lage nicht sehr zufrieden war.
    Die beiden Pferde kamen mir näher und besahen sehr ernsthaft mein Gesicht und meine Hände. Das graue rieb meinen Hut mit dem Vorderhuf und verrückte ihn so sehr, daß ich genöthigt war, ihn abzunehmen um ihn wieder besser aufzusetzen, worauf beide (das andere Pferd war kastanienbraun) sehr erstaunt schienen. Das letztere befühlte

Weitere Kostenlose Bücher