Gullivers Reisen
müssen durch meine geringere Auffassungsgabe, so wie durch die Uebersetzung in unser barbarisches Englisch nothwendig viel Nachtheil erleiden.
Um den Befehlen Seiner Gnaden zu gehorchen, erzählte ich Ihr deßhalb die Revolution unter dem Prinzen von Oranien, den langen Krieg mit Frankreich, welchen der genannte Fürst begann, und den seine Nachfolgerin, die gegenwärtige Königin [19] erneuete. Wie alle großen Mächte der Christenheit daran Theil nahmen, und wie er jetzt noch fortgesetzt wird. [20] Ich berechnete, auf seine Bitte, daß ungefähr eine Million Yähus im Verlauf desselben umgekommen seyen, ungefähr hundert Städte, oder eine noch größere Anzahl, sey eingenommen und fünfmal so viel Schiffe verbrannt oder versenkt worden.
Mein Herr fragte mich alsdann, welche Beweggründe dergleichen Kriege gewöhnlich bewirkten. Ich erwiderte, die Ursachen seyen unzählig; ich würde nur einige der hauptsächlichsten erwähnen. Bisweilen würden Kriege durch Fürsten bewirkt, welche niemals glaubten, daß sie Land und Leute genug zu beherrschen hätten; bisweilen auch durch die Verderbniß der Minister, welche ihren Herrn in einen Krieg verwickelten, um das Geschrei der Unterthanen über eine schlechte Regierung zu ersticken, oder demselben eine andere Richtung zu geben; Verschiedenheit der Meinungen habe mehrere Millionen Leben gekostet, ob Fleisch Brod, oder Brod Fleisch sey, ob der Saft einer gewissen Beere in Blut oder Wein bestehe; ob man das Pfeifen als Laster oder Tugend annehmen müsse; ob es besser sey, einen Pfahl zu küssen oder in das Feuer zu werfen; wie man sich am besten bekleiden müsse, schwarz, weiß, roth oder grau; ob der Rock lang oder kurz, eng oder weit, schmutzig oder reinlich seyn solle. Auch seyen keine Kriege so wüthend und blutig und dauerten so lange, wie diejenigen, welche durch Verschiedenheit der Meinungen erregt würden, besonders wenn die streitigen Gegenstände unbedeutend seyen.
Bisweilen entstehe der Zank zwischen zwei Fürsten, um zu entscheiden, wer von ihnen einen dritten außer Besitz, in Betreff seiner Länder, setzen solle, wo jedoch keiner auf ein Recht Anspruch machen dürfe; bisweilen zanke der eine Fürst mit dem andern, aus Besorgniß, dieser werde Zank mit ihm anfangen; bisweilen weil er zu schwach sey; bisweilen, fuhr ich fort, wollen unsere Nachbarn Etwas haben, was wir besitzen, oder sie besitzen die Dinge, die wir haben wollen, und dann kämpfen wir beide, bis sie unsere Dinge nehmen, oder wir die ihrigen haben. Es ist eine leicht zu rechtfertigende Ursache des Krieges, ein Land anzugreifen, wenn das Volk durch Hungersnoth geschwächt, durch Pest zerstört und durch bürgerlichen Parteikampf verwirrt ist. Es ist leicht zu rechtfertigen, wenn wir unseren nächsten Alliirten den Krieg erklären, sobald eine seiner Städte für uns sich eignet, oder wenn ein Landstrich eine solche Lage hat, daß er unsere Besitzthümer abgerundet und zusammenhängend macht. Wenn ein Fürst seine Streitkräfte einer Nation sendet, wo das Volk arm und unwissend ist, so darf er mit Recht die eine Hälfte tödten und die andere zu Sklaven machen, um sie zu civilisiren und sie von ihrer barbarischen Lebensweise abzubringen. Es ist ferner, im Fall ein Fürst die Hülfe eines andern nachsucht, um sich vor fremdem Angriff zu retten, ein königliches, ehrenvolles und häufiges Verfahren, daß der Bundesgenosse, wenn er den angreifenden Feind vertrieben hat, das Land für sich selbst in Besitz nimmt und den erretteten Fürsten tödtet, verhaftet oder verbannt. Verbindung durch Blutsverwandtschaft oder Ehe ist eine häufige Ursache zu Kriegen zwischen Fürsten, und je näher die Verwandtschaft ist, desto größer ist auch die Neigung zu Zwist. Arme Nationen sind hungrig, reiche sind stolz; Stolz und Hunger wird stets mit einander in Streit gerathen. Deßhalb wird das Handwerk eines Soldaten für das ehrenvollste von allen gehalten. Ein Soldat ist nämlich ein Yähu, der gemiethet wird, so viele Individuen seiner Gattung wie möglich, die ihn nie beleidigt haben, mit kaltem Blute zu tödten. Es gibt ferner eine Art bettelhafter Fürsten in Europa, welche nicht selbst im Stande sind, Kriege zu führen, und deßhalb ihre Truppen an reichere Nationen für einen bestimmten Sold vermiethen. Davon behalten sie drei Viertel für sich selbst, und dies ist das beste Einkommen für ihren Unterhalt. Dergleichen gibt es in mehreren Theilen Europas.
Mein Herr erwiderte: Was Ihr mir über den Krieg
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